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Atombombe Hiroshima - Referat



Am 6. August 1945 werfen die Vereinigten Staaten von Amerika auf die japanische
Stadt Hiroshima die erste Atombombe ab. Durch die Explosion und die frei gesetzte
radioaktive Strahlung kommen schätzungsweise bis zu 150.000 Menschen grausam
ums Leben. Etwa 80% der Stadt Hiroshima werden zerstört.
Um 8.13 Uhr erhält die Besatzung des
Boeing B 29-Bombers „Enola Gay“ von
General Carl A. Spaatz, dem
Oberbefehlshaber der US-Luftwaffe im
Pazifik, den Befehl, einen
Nuklearsprengsatz über Hiroshima
abzuwerfen. Zwei Minuten später
detoniert die Atombombe, mit einer
Sprengkraft von 12.500 t TNT in 580 m
Höhe über der Stadt Hiroshima. Obwohl
die Amerikaner von der Wirkung der
Atombombe selbst überrascht sind,
werfen sie drei Tage später, am 9.
August die zweite Bombe auf die Stadt
Nagasaki ab. Die um 12 Uhr mittags
über Nagasaki explodierte Bombe hat eine Sprengkraft von 22.000 t TNT, also beinahe die
doppelte Sprengkraft der Bombe, die über Hiroshima abgeworfen wurde.

Im Ruhestand schreibt Truman, Jahre später, über seinen Befehl für den Abwurf der
Atombombe über Hiroshima: „Als ich meine diesbezüglichen Weisungen erteilte,
machte ich es zur Bedingung, dass die Bombe als Kriegsmittel im Rahmen der
Landkriegsordnung einzusetzen sei.“
Mit anderen Worten, die Bombe musste auf ein militärisches Ziel abgeworfen werden.
Was dabei herauskam, war jedoch die Vernichtung der Stadt Hiroshima. Wegen der
Berücksichtigung des Wetters und operativer Umstände räumte Präsident Truman
seinem General eine gewisse „Freiheit“ ein.
[Fotostrecke Nagasaki]

Hiroshima-Befehl

Der Befehl an den General Carl Spaatz für den Abwurf der Atombombe lautet:
An General Carl Spaatz
Oberkommandierenden der amerikanischen strategischen Luftwaffe
24. Juli 1945

Die Sondergruppe 509 der 20. Luftflotte wird ihre erste Spezialbombe, sowie das
Wetter nach dem 3. August 1945 Bombardierung bei guter Sicht gestattet, auf eines der
nachstehenden Ziele abwerfen: Hiroshima, Kokura, Nagasaki oder Niigata. Zusätzliche
Maschinen zur Begleitung des Bombenflugzeuges sind zu stellen, um Offizieren und
Wissenschaftlern des Kriegsministeriums die Beobachtung der Bombenexplosion und
ihrer Wirkung zu ermöglichen. Die Beobachtermaschinen werden sich einige Meilen
vom Explosionsherd entfernt halten.
Sowie weitere Bomben zur Verfügung stehen, sind sie auf die obengenannten Ziele
abzuwerfen. Für weitere Bombardierungen sind Instruktionen abzuwarten.
Alle Verlautbarungen über den Einsatz dieses Kampfmittels in Japan sind dem
Präsidenten der Vereinigten Staaten und dem Kriegsministerium vorbehalten. Ohne
vorherige Genehmigung dürfen die Frontbefehlshaber kein Kommunique herausgeben.
Alle Presseberichte sind dem Kriegsministerium zur Vorzensur einzureichen.
Der obige Befehl ergeht an Sie auf Anweisung und mit Zustimmung des Kriegsministers
und des Generalstabschefs der amerikanischen Streitkräfte. Sie werden ersucht, ein
Exemplar dieses Befehls persönlich MacArthur und Admiral Nimitz zur Kenntnisnahme
auszuhändigen.

Im Auftrag
Thos. T. Handy
General GSC Amtierender Stabschef
Originaldokument des Befehls für den Abwurf der Atombombe.
(192 KB groß)

Die Besatzung des Bombenflugzeuges

Als Oberst Paul W. Tibbets, der die Atombombe über Hiroshima ausklinkte, später in
einem Interview gefragt wird, ob er nicht bereue, für den Tod zehntausender
Menschen verantwortlich zu sein, antwortet er:
„Ich habe nie bereut und mich nie geschämt, denn ich glaubte
damals, dass ich meine patriotische Pflicht tat, als ich den Befehlen
folgte, die man mir gab.“

Die selben Argumente benutzte der 1961 in Argentinien
gefasste Nazi Adolf Eichmann, als er vor dem Staat Israel
wegen Völkermordes unter Anklage stand und später mit
der Todesstrafe verurteilt wurde. Die
Besatzungsmannschaft der Enola Gay sind Jahre später
immer noch der Auffassung, dass sie das Richtige taten, um
den Krieg zu beenden. Sie stimmen hierin mit der
herrschenden amerikanischen Politik überein, ebenso mit
dem für den Abwurf der beiden Atombomben
verantwortlichen Präsidenten Truman, der jene Ansicht
über Jahrzehnte hinweg bis zu seinem Tode wiederholt hat.

Der Blick in die explodierende Bombe - Ein Augenzeugenbericht

Von Helmut Erlinghagen
Der August ist in Japan der eigentliche Sommermonat. Es war sehr schwül in Tokio,
noch heißer in Nagoya und Osaka und drückend in Okayama und Hiroshima. Weil
damals chemikalische Düngemittel nicht in dem Maße verwendet wurden wie heute,
wimmelte es in den Reisfeldern, die auch unser Haus umgaben, von Fröschen
verschiedenster Art. Ihr Gequake und das ununterbrochene Surren der Zikaden
erfüllte die Luft schon seit Wochen, aber im August, dem Höhepunkt der sommerlichen
Hitze, war es besonders penetrant.
Gerüchte über die unmittelbar bevorstehende Bombardierung Hiroshimas hatten in
den letzten Wochen zugenommen. Auch war hin und wieder von einer Spezialbombe
die Rede, die Hiroshima zerstören sollte. Doch wir beachteten dieses Gerücht so wenig
wie die anderen. Wir waren überzeugt, dass die Alliierten bald auf den japanischen
Inseln landen würden, und jeder von uns hatte eine Fischkonserve und einen kleinen
Beutel Reis als Proviant erhalten, um notfalls bei einer Flucht in die Berge überleben zu
können.
Doch wir glaubten nicht an eine unmittelbare Gefahr. Uns bedrückten vor allem die
Nachrichten von der furchtbaren Zerstörung Deutschlands und die Sorge um unsere
Angehörigen, von denen schon lange kein Lebenszeichen zu uns vorgedrungen war.
Ich überlegte seit einiger Zeit, die „Blauen Bücher“ des Verlags Langewiesche aus der
kirchlichen Bibliothek in der Stadt hierher nach Nagatsuka zu holen, um zumindest eine
Erinnerung an das untergegangene Deutschland zu bewahren. Denn dass der
Bombardierung eine verheerende Brandkatastrophe folgen würde, schien uns gewiss.
Am Morgen des 6. August hatte es um sieben Uhr Bombenalarm gegeben, doch gegen
acht Uhr wurde der Alarm wieder abgeblasen. Ich überlegte, mit dem Fahrrad in die
Stadt zu radeln, um die Bücher zu holen, aber irgendwie war ich unschlüssig. So
versuchte ich, mich auf die noch ungewohnte Lesung des Breviers zu konzentrieren,
als ich plötzlich den Motorenlärm eines Flugzeuges hörte. Barfuss, das Gebetbuch in
der Hand, lief ich zum Fenster, aus dem ich nach Süden zur Stadt hinunter blicken
konnte. Bei klarem Wetter ließen sich recht deutlich die Umrisse des größten
Kaufhauses von Hiroshima, Fukuya, erkennen. Diesig war es an diesem 6. August, wie
so oft, so dass man keinerlei Konturen der Gebäude unterscheiden konnte. Ich konnte
kein Flugzeug entdecken. Unten im Garten sah ich einen Mitstudenten, der sich mit
koreanischen Kindern aus der benachbarten Barackensiedlung unterhielt. „Siehst du
etwas?“ rief ich hinunter. „Nein. Dem Geräusch nach muss es eine Boeing 29 sein.
?? „Ja. Sie muss irgendwo dort sein.“ Ich streckte meinen Arm in Richtung Hiroshima.
In diesem Moment, es war inzwischen 8.15 Uhr, blitzte ein riesiges Licht über dem
Zentrum auf, doch im gleichen Augenblick hatte ich das Gefühl, das Licht, hundertmal
stärker als die Sonne, sei über und um mich. Ein greller Lichtschein, ähnlich dem
Magnesiumlicht, das man früher bei Blitzlichtaufnahmen benutzte, gelblichweiß und
gleißend, erfüllte alles. Geblendet wich ich zurück. Plötzlich fühlte ich eine starke Hitze
und warf mich entsetzt auf den Boden unmittelbar vor dem Fenster, wie wir es oft in
Gedanken trainiert hatten. Ich lag vielleicht zwei oder drei Sekunden da, als es
fürchterlich knallte. Mein Zimmer und das ganze Haus wurden erschüttert. Ich war
über und über mit Glassplittern, Holzstücken und aus den Wänden gerissenen
Lehmbrocken bedeckt. Ich kroch unter den Schreibtisch und betete. Das ist das Ende,
dachte ich und wartete auf den Gnadentod. Doch nichts geschah.
Durch tausende von Glassplittern, durch zerborstene Möbel und zerfetzte Bücher
gelangte ich zu der Tür, die, aus den Angeln gerissen, draußen auf dem Korridor lag.
Zitternd trat ich hinaus, überzeugt davon, dass den anderen im Haus etwas
Entsetzliches widerfahren sei. Bei mir selbst bemerkte ich keine Verletzungen. Andere
kamen aus ihren völlig verwüsteten Zimmern auf den Gang. Einer blutete heftig im
Gesicht und an den Armen, er hatte, wie er uns später erzählte, direkt am Fenster
gestanden, um der Bombe „ins Gesicht zu sehen“ – er war Philosoph.
Die Decken im Korridor bogen sich und drohten jeden
Moment herabzustürzen. Doch wir waren vor allem damit
beschäftigt, uns um „den anderen“ zu kümmern. Wir
gingen hinaus und sahen, dass die ganze südliche
Hausfront zerstört war. Alle Fenster waren heraus
gebrochen, tausende von Möbelsplittern nach draußen
geflogen. Überall auf dem Rasen lagen zerbrochene
Dachziegel, drei Pfeiler der Kirche waren zerstört. Doch
die Grundstruktur des Gebäudes war erhalten geblieben.
„Wo ist der Bombeneinschlag?“ fragten wir immer
wieder, aber nirgends war ein Bombenkrater zu
entdecken. Wir suchten überall – kein Anhaltspunkt. Wie
konnte das sein? Das ganze Haus mit einem Schlag
demoliert und nirgends ein Bombentrichter. Das muss eine
besondere Bombe gewesen sein, vermuteten einige. Ich
vertrat die, wie ich glaubte, realistische Ansicht, dass dies
wohl das lang erwartete Bombardement gewesen sei.
Statt herumzuspekulieren, wo denn der Bombentrichter
sei, sollten wir uns lieber an die Aufräumungsarbeiten
machen.

In diesem Moment entdeckten wir, dass viele der
kleinen, mit Stroh bedeckten Bauernhäuser zur
Stadt hin brannten. Sie waren einige hundert Meter
von unserem Haus entfernt. Auch brannten Häuser,
die noch näher beim Stadtzentrum lagen, und
selbst die die Stadt umgebenden Wälder schienen
Feuer gefangen zu haben. Wie ein großer Ring lag
das Feuer um der Stadt mit dem Stadtzentrum als
Mittelpunkt. Um das Zentrum selbst, wo sich jetzt
eine riesige Wolke bildete, kümmerten wir uns nicht
weiter. Ich dachte, die Bombardierung von
Hiroshima habe erst begonnen, denn auch in Tokio
und im benachbarten Kure war zuerst die
Peripherie und danach das Zentrum bombardiert
worden.
Von Hiroshima zogen ungeheure Rauchwolken herüber. Überall liefen Leute umher und
versuchten, das Feuer zu löschen. Auch die Schüler waren aus den Stollen gekommen
und halfen beim Löschen. Zusammen mit einem Theologieprofessor rannte ich zu
einem der brennenden Bauernhäuser. Während wir aus einem kleinen Fluss Wasser in
Eimern holten, zeigten am anderen Ufer Polizisten mit entsicherten Pistolen auf uns.
Sie hielten uns, wie wir später erfuhren, für amerikanische Fallschirmspringer. Zum
Glück kannten uns die Bauern, denen wir beim Löschen halfen.
Gegen zehn Uhr wurde der Himmel nicht nur über der Stadt, sondern auch über uns
merkwürdig dunkel. Bald fielen schwere Regentropfen, die voll von Schmutz – offenbar
Rauch und Asche – waren. Von der ganz ungewöhnlichen Dunkelheit zur Mittagszeit
eines Hochsommertages beunruhigt, machten wir uns auf den Heimweg. Inzwischen
strömten immer mehr Menschen vom nördlichen Teil der Stadt über die Dämme, die
sich entlang der regulierten Bäche der Reisfelder befanden. Zuerst fanden nur einige
der Ausgebombten den Weg zu uns, aber bald waren es so viele, dass wir nicht mehr
wussten, wie wir sie alle unterbringen sollten. Ich war gerade dabei, Notunterkünfte
anzuweisen, als eine Nachbarin aus dem Tal herangestürzt kam und uns dringend um
Hilfe bat.
Einige von uns waren schon zur Hauptverkehrsstraße geeilt, die etwa zehn Minuten
vom Hause entfernt von Hiroshima nach Norden führte, um dort zu helfen. So machte
ich mich allein auf den Weg zur Nachbarin. Es war meine erste Begegnung mit den
Schrecken der Verwundeten. In ihrem Haus lagen sie dicht nebeneinander, Körper an
Körper. Aber der Zustrom ließ nicht nach, sondern wuchs stetig an. Es kamen immer
neue, meistens in geschlossenen Reihen von sieben bis acht Personen, vorwiegend
Frauen, die am Kopf und im Gesicht so verbrannt waren, dass die Brandblasen sie
völlig unkenntlich machten. Die oberste Haut war verletzt und abgerissen, der Kopf
ballonrund aufgedunsen. Aus dem geschwollenen Mund hing oft die aufgeblähte
Zunge heraus. In den grässlichsten Farben, rot, violett oder graubraun von Schmutz
und Staub, erschienen sie vor uns. Viele von ihnen konnten wegen der geschwollenen
Fleischteile im Gesicht nicht mehr sehen, sie hielten deshalb in Gruppen Tuchfühlung
zueinander, indem sie gegenseitig die Hände auf die Schultern legten oder die Arme
einhakten. In ihrem großen Leid halfen sich die Verletzten gegenseitig, niemand – es
waren meist, wie gesagt, Frauen – wurde allein gelassen. Von zwei anderen unter die
Arme genommen, gingen die Erblindeten klagend, der Orientierung wegen stets
sprechend, oft genug nur im Schmerz vor sich hin summend, aber immer mit Geduld
langsam schlürfend aus der Stadt. Angekommen auf den vereinzelt am Wegesrand
liegenden Bauernhöfen, brachen ganze Gruppen zusammen, fielen trotz
Zurückweisungen auf die Tatami-Matten oder einfach in den Hof zwischen der
Heckenwand und dem Bauernhaus.
Die Nachbarin erfasste die Größe der Not so wenig wie ich. Sie bat mich dringend, dass
ich eine verletzte Frau zum Arzt bringen sollte, weil sie offensichtlich ohne Bewusstsein
sei und jederzeit sterben könne. Es war wohl ein typischer Fall, wie er in jeder
Katastrophe geschieht. Jeder erfasst nur das, was unmittelbar um ihn herum passiert,
und glaubt, er müsse da unbedingt helfen. Sie bot mir ihren Riaka, einen zweirädrigen
Wagen mit einem kistenartigen Aufsatz und einer Deichsel zum Ziehen oder Schieben,
an. Wir luden die verletzte Frau vorsichtig hinein. Ich bat einen etwa elfjährigen
Schüler, der nur verdattert in all dem Unglück herumstand, mitzukommen. Fast musste
ich ihn zwingen, mit anzufassen, indem ich ihn darauf hinwies, dass es doch eine
Japanerin sei, die in Todesgefahr schwebe. Mit abgewandtem Gesicht half er mir beim
Schieben des Riaka. Ich selbst hatte nur den einen Gedanken, dass ich für diese
sterbende Person verantwortlich sei und schleunigst einen Arzt finden müsse.
Endlich erreichten wir eine Rettungsstation, die in einem buddhistischen Tempel
untergebracht war, wozu auch eine Volksschule gehörte. Ich war so sehr damit
beschäftigt, die mir anvertraute Frau zu retten, dass ich zunächst gar nicht die
Situation in der überfüllten Rettungsstation erfasste. Wir trugen die Verletzte in den
ersten Stock, und ich bat den Arzt, doch zu kommen, um sich ihrer anzunehmen. Er
schaute mich ganz müde und erstaunt an und wies mit der Hand in den großen
Schulraum: „Sehen Sie denn nicht, dass hier Hunderte von Verletzten und Sterbenden
liegen?“ Erst jetzt wurde mir klar, dass er ja unmöglich nur meiner Verletzten helfen
konnte. Ich ließ die Frau, an der es außer den Kopfhaaren und einem Gürtel aus Stoff
um die Hüften nichts gab, wo man sie überhaupt anfassen konnte, in dem Schulraum
zurück. Als ich hinausging, sah ich, dass die gesamte Schule voll von Verletzten,
Sterbenden und Toten war.
Auch draußen im Schulhof, im buddhistischen Tempel, überall das gleiche Bild. Ich
ahnte, dass etwas Entsetzliches passiert war.
Als ich zu der Hauptstraße, die durch eine nicht abreißende Kette von Dörfern von
Hiroshima nach Norden führt, zurückkehrte, traf ich unterwegs überall Verletzte.
Manche waren so schwer getroffen, dass sie nach ein paar Schritten tot umfielen. Aus
den Häusern drang das Stöhnen und Schreien der Verwundeten. Die Bauern hatte
man zwar immer wieder auf ihre Verteidigungspflichten bei einem Luftangriff auf
Hiroshima hingewiesen, doch hierauf waren sie nicht vorbereitet. Ihre Häuser wurden
überfüllt mit Verletzten, die überall auf den Matten lagen. Vergeblich versuchten sie,
Neuankömmlinge abzuwimmeln. Einzeln und in Gruppen fielen sie einfach in den Staub
des Hofes. Männer, die nicht als Soldaten eingezogen worden waren, hatte die
Regierung in einer dem Volkssturm ähnlichen Organisation zusammengefasst, die sich
Hilfstruppe nannte. Die grün uniformierten Angehörigen dieser Miliz saßen völlig
erschöpft am Straßenrand und wiederholten immer nur: „Bei so vielen Verwundeten
kann man einfach nichts tun.“ Niemand von ihnen war in der Lage, den aus der Stadt
strömenden Menschen irgendwie zu helfen.
Ich traf andere Mitglieder unseres Hauses, die ebenso wie ich Leute in einem
Riakawagen transportierten. Oft wurde der Riaka, der eigentlich nur für zwei bis drei
Personen gedacht ist, mit sieben Verletzten beladen. Nur wir Deutschen und unsere
koreanischen Mitbrüder zogen stundenlang mit den kleinen Wagen die Straße auf und
ab, um zumindest die Schwerverletzten zur Rettungsstation zu bringen, zu der immer
noch in einer Prozession des Grauens Tausende und Abertausende von Verletzten aus
der Stadt wankten.
Überall flehten Menschen um Wasser. Als ich ihnen etwas davon bringen wollte, wurde
ich von Angehörigen der Hilfstruppe daran gehindert. Sie fürchteten, Wasser sei für die
Verletzten der sichere Tod, denn die Bombe sei, wie sie mir sagten, von besonderer
Art gewesen. Vermutlich hätten die Verwundeten innere Verbrennungen oder seien
vergiftet. Das einzige, was die Verwundeten daher bekamen, waren kleine
Reisbrötchen, die so hart waren, dass man sie nur mit sehr guten Zähnen zerbeißen
konnte. Sie wurden den Opfern in die Hand gedrückt, die sie weder zum Mund führen,
geschweige denn essen konnten. Kaum hatten sie sie bekommen, fielen sie in den
Wagen oder auf die Straße. Doch sogleich bekamen sie neue zugesteckt. Auch mir
wurden immer wieder die harten Reisbrötchen gegeben, wohl auch als Zeichen der
Anerkennung und des Dankes. Mehr als sieben Stunden hatte ich ohne Unterbrechung
gearbeitet; ich bemerkte nicht einmal den Schmerz in meinen von Glassplittern
verletzten Fußknöcheln.
Aus einem kleinen Städtchen weiter im Norden waren endlich auch Lastwagen
gekommen, die alle diejenigen transportierten, die noch stehen konnten. Sie wurden
völlig überladen.
Ich erinnere mich an ein junges Mädchen, das beim
Anblick ihrer an Gesicht und Körper furchtbar
verstümmelten Mutter und der dicht gedrängten Menge
von Verletzten nicht mit auf den Lastwagen wollte. Die
Mutter, schon oben, gab ihr Zeichen, versuchte sie zu
rufen, doch Mund und Zunge waren so geschwollen, dass
nur unartikulierte Laute herauskamen. Schließlich packte
einer der Sanitäter das entsetzte Mädchen und warf sie
auf den bereits fahrenden Anhänger.

Mit meinem vollgeladenen Riaka ging ich zum
letzten Mal zur Rettungsstation. Wegen der
strengen Sicherheitsvorschriften während der
letzten Kriegsetappe brannte kein Licht, und so
legte ich die Opfer im Dunklen hin. Ich blieb eine
Weile stehen, hörte das Stöhnen der unzähligen
Verwundeten, die überall lagen. „Wasser. Wasser.
?? Niemand beklagte sich, niemand verfluchte den
Feind. Mit derselben Schicksalsergebenheit, mit der
die Japaner Erdbeben, Taifune,
Überschwemmungen und Vulkanausbrüche erduldet
hatten, ertrugen sie auch jetzt dies Leid.
Es war bereits kurz vor acht Uhr abends, als ich schließlich heimging. Anders als sonst
war in den meisten Häusern trotz der
Sicherheitsvorschriften Licht. Auf dem Krematoriumsplatz, etwa zweihundert Meter von
unserem Haus entfernt, brannten mehrere Feuer. Jeder Bestattungsplatz bestand nur
aus einem einfachen Loch, groß genug, um etwas Holz und die Reste der Toten
hineinzutun. Auch überall an den Hängen ringsum brannten, so weit ich blicken
konnte, Bestattungsfeuer von demselben entsetzlichen Gelbbraun. Die Bauernhöfe
zwischen Noviziat und Stadt loderten immer noch. Und die Stadt selbst: Feuer, überall
Feuer, soweit ich sehen konnte.
Auf dem Gelände des Noviziats, das in ein Lazarett umgewandelt worden war, hörte
ich immer wieder verzweifeltes Stöhnen, und wir brauchten im Dunklen eine Weile, bis
wir die Rufenden ausfindig machen konnten. Nie werde ich das Mädchen vergessen,
das feierlich um unser Haus ging und ein Weihnachtslied sang. Ihre Stimme, die vorher
sehr schön gewesen sein musste, verstärkte die unermessliche Traurigkeit dieser
Szene.
Im Haus erfuhr ich, dass am Nachmittag Takemoto-san, ein japanischer Student, der in
der Zentrale von Noboricho im Stadtinnern wohnte, völlig verstört angekommen sei
und die Nachricht von der totalen Zerstörung Hiroshimas gebracht habe. Die Insassen
der Zentrale seien in höchster Lebensgefahr, in den Asano-Park geflohen, aber auch
der brenne. Takemoto-san sei sofort wieder mit einer Gruppe von Mitstudenten in den
Asano-Park zurückgegangen. Der Professor, der auch am Vormittag mit mir gegangen
war, und ich machten uns noch einmal auf den Weg, um den anderen notfalls zu
helfen. Inzwischen war es stockdunkel geworden, nur von der Stadt brannte
orangeviolett das Feuer.
An der Shinjo-Brücke, genau an der damaligen nördlichen Stadtgrenze von Hiroshima,
machten wir eine Pause. Wir setzten uns auf das Trittbrett eines offenbar
ausgebrannten Busses. Ich zündete mir entgegen der Sicherheitsvorschriften eine
Zigarette an. Plötzlich hörte ich aus dem dunklen Innern des Busses unmittelbar hinter
mir die Stimme einer Frau. „Zigarette, bitte.“ Die Stimme war sehr schwach. Ich gab
der Frau meine Zigarette. Erst in diesem Moment bemerkte ich, dass der Bus voll von
Menschenleibern war, ob schlafend, verletzt oder tot, ich konnte es in der Dunkelheit
nicht erkennen.
Der Weg zur Stadt wurde immer mühseliger. Umgestürzte Telegraphenmasten und
das Feuer von der Stadt her machten es unmöglich, vorwärts zu kommen. Zum Glück
trafen wir kurz vor Mitternacht unsere Leute, die aus der Stadt kamen. Sie trugen auf
Bahren die Missionare Schiffer und Lasalle, während ein dritter in wallendem Talar und
Hausschuhen neben ihnen ging. Ein vierter, sagten die anderen, sei im Asano-Park
geblieben, um dort den Flüchtlingen zu helfen.

Prof. Helmut Erlinghagen, geb. 1915 in Hagen, war ein deutscher Augenzeuge in der Zeit
von August bis Oktober 1945 in Hiroshima. 1953 bis 1983 an der Sophia-Universität in
Tokio, danach bis zu seinem Tode 1994 mit Lehrauftrag in Mainz. Erlinghagen war als
Spätfolge ab 1978 schwer lungenkrank.



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