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Bertolt Brecht (Eugen Berthold Friedrich B.) - Referat



Bertolt Brecht (eigtl. Eugen Berthold Friedrich B.)


*10.2.1898 in Augsburg, l4.8. 1956 in Ost-Berlin

1953 siegte Politik über Kunst: Nach dem Volksaufstand am 17. Juni veröffentlichte die DDR-Presse von einem kritischen Brief Brechts an Ulbricht lediglich die abschließende "Ergebenheitsadresse", worauf in der Bundesrepublik Deutschland zum Boykott des Dramatikers aufgerufen wurde.

Zwei Jahre später bestätigte das Internationale Theaterfestival in Paris den künstlerischen Weltrang des (parteilosen) Kommunisten: Das Programm trug die Überschrift "Hommage à Brecht" und würdigte somit ein Lebenswerk im Dienst der Erneuerung des künstlerischen und damit auch gesellschaftlichen Bewußtseins.

Der Sohn eines schließlich zum Direktor einer Papierfabrik aufgestiegenen Kaufmanns studierte l9l7-l92l in München Medizin und Literatur, 1918 unterbrochen durch den Einsatz als Sanitätshelfer; 1920/21 verfaßte er Theaterkritiken für die Augsburger Zeitung der USPD. Als erstes Drama kam 1922 in München das Heimkehrer-Stück Trommeln in der Nacht zur Aufführung, für das Brecht mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet wurde. 1923 folgten die Uraufführungen von Im Dickicht der Staidre und dem expressionistischen Erstlingswerk Baal. 1924 ließ Brecht sich in Berlin nieder. Ausgehend von der Kritik am bestehenden Theaterbetrieb und in engem Zusammenhang mit seiner als Publizist entwickelten Gesellschaftskritik, erarbeitete er, zunächst unsystematisch, Theorie und Praxis des (u. a. auch vom ostasiatischen Theaterspiel beeinflußten) "epischen Thea-ters". Es zielt darauf ab, den Zuschauer durch verfremdende Mittel ("V-Effekt", z. B. Heraustreten des Schauspielers aus seiner Rolle, Songs, Texttafeln) in ein kritisch-beobachtendes Verhältnis zum Bühnengeschehen zu versetzen ("Glotzt nicht so romantisch!"). Die auf der Bühne vorgezeigten Verhaltensweisen sollen als gesellschaftlich bedingt und daher veränderbar erkannt werden.

Die intensive Beschäftigung mit dem Marxismus (ab 1926) führte ihn zur Form des "Lehrstücks" (bestimmt zur Aufführung in Betrieben und auf Parteiversammlungen; mit dem zentralen Thema der Voraussetzungen eines angemessenen (sozialistischen) kollektiven Handelns. Zu Brechts eigenem "Kollektiv" gehörten Elisabeth Hauptmann und der Bühnenbildner Caspar Neher.

Außerordentlichen Erfolg erlangte 1928 Die Dreigroschenoper (nach John Gays "The Beggar's Opera", 1728) mit der Musik von Kurt Weill. Bei den Lehrstücken arbeitete Brecht mit dem Komponisten Hanns Eisler zusammen (Die Maßnahme, 1930). 1932 inszenierte er seine Dramatisierung des Romans Die Mutter von Maxim Gorki; die Titelrolle spielte Helene Weigel, die Brecht 1928 in zweiter Ehe geheiratet hatte. Ab 1930 erschienen in der Heftreihe "Versuche" u. a. Anmerkungen zu eigenen Stücken und deren Aufführung. Neben den Bühnenliedern entstanden eigenständige Gedichte (Hauspostille, 1927) sowie parabelhafte Erzählungen (Geschichten vom Herrn Keuner, ab 1930). 1933 emigrierte Brecht mit seiner Familie über Prag und die Schweiz nach Dänemark (Svendborg), 1940 nach Finnland, 1941 über Moskau in die USA (Santa Monica bei Hollywood). Vom Theater zunächst abgeschnitten, arbeitete er als Romancier (Dreigroschenroman, 1934), Lyriker (Svendborger Gedichte, 1939), Essayist (Fünf Schwierigkeiten heim Schreiben der Wahrheit, 1934) und philosophisch-wissenschaftlicher Erzähler (Me-ti/Buch der Wendungen). 1936 gehörte Brecht zu den Gründungsherausgebern der in Moskau erscheinenden Zeitschrift "Die Waage", in der 1937/38 die sog. "Expressionismusdebatte" geführt wurde. 1938-1945 entstanden die "klassischen" Dramen, von denen drei während des Krieges in Zürich uraufgeführt wurden 1941 Mutter Courage und ihre Kinder (Musik Paul Dessau), 1943 Der gute Mensch von Sezuan und Galileo Galilei. In den Dialogen Der Messingkauf(1939/40, V 1963) klärte Brecht seine Konzeption des "epischen" bzw. "didaktischen Theaters". 1947 wurde Brecht vom antikommunistischen "Committee of Un-American Activities" vernommen; kurz darauf verließ er die USA. Über die Schweiz (1948 in Chur Uraufführung der "Antigone"-Bearbeitung) und Prag kehrte er nach Ost-Berlin zurück. 1949 gründete er gemeinsam mit Helene Weigel das "Berliner Ensemble", das 1954 das Theater am Schiffbauerdamm bezog. Im 1949 erschienen Kleinen Organon für das Theater entfaltete Brecht thesenartig die Vielfalt der Aspekte eines Theaters, das zwischen Belehrung und Vergnügen vermittelt: "Wie die Umgestaltung der Natur, so ist die Umgestaltung der Gesellschaft ein Befreiungsakt, und es sind die Freuden der Befreiung, welche das Theater eines wissenschaftlichen Zeitalters vermitteln sollte."

Anläßlich seiner Inszenierung des Stücks "Katzgraben" von Erwin Strittmatter entwickelte er 1953 in den Katzgraben-Nataten eine explizit sozialistische, gegen "banale Durchidealisierung" gerichtete Dramaturgie. Brechts Arbeit galt nun vor allem den Modellinszenierungen eigener und fremder Stücke ("Der Hofmeister" von J. M. R. Lenz, "Der Biberpelz" und "Der rote Hahn" von Hauptmann). Brechts Funktion als kulturpolitischer Repräsentant (Staatspreis der DDR 1951) schloß Spannungen mit der politischen Führung nicht aus so drohte dem Träger des Internationalen Stalin-Friedenspreises 1954 im folgenden Jahr das Verbot seiner als einseitig pazifistisch kritisierten Kriegsfibel.


Vorbemerkung

Brechts Stück "Leben des Galilei" gehört seit Jahren zu den Standardwerken des Lektürekanos für den Deutschunterricht der gym-nasialen Oberstufe. Der vorliegende Band enthält Informationen Ober das Leben und Hinweise auf die wichtigsten Werke Brechts. Weiter werden einige Grundzüge der Theatertheorie dargestellt, wie sie durch Lessings Konzept der aristotelischen Dramatik überkommen und von Brecht auf dem deutschen Theater vorgefunden wurden. Dagegen werden die Grundzüge der Brechtschen Konzeption des epischen Theaters gesetzt. Die Informationen zum historischen Galilei sollen einen ersten Ein-druck über die wissenschaftsgeschichtlichen Hintergründe und die historisch-politischen Bedingungen der Lebenszeit Galileis vermit-teln. Umfangreiche Dokumente zeigen, wie das Stück umgearbeitet und der Charakter Galileis dabei verändert wurde. Neben einer detaillierten Inhaltsangabe enthält dieser Band Erläu-terungen zum Stück sowie eine kommentierte Auswahlbibliographie, die Hinweise zum weiteren Studium des Autors bietet. Auf ei-ne Charakterisierung der Hauptpersonen wurde verzichtet; statt-dessen findet der Leser Äußerungen von Brecht und Hinweise von Literaturwissenschaftlern, aus denen sich der unterschiedlich an-gelegte Charakter Galileis erarbeiten läßt.


Brechts Leben und Werk

1. Herkunft und Jugend


Am 10. Februar 1898 wird Bertolt (eigentlich Bertold Eugen) Brecht In Augsburg geboren. Sein Vater, der kaufmännische Angestellte Bertold Friedrich Brecht (1869-1939) und die Mutter Sofie, gebore-ne Brenzing (1871-1920) gehören zum angesehenen Bürgertum der Stadt. Nach dem Besuch der Volksschule tritt Bertolt 1908 in die erste Klasse des Augsburger Königlichen Bayerischen Realgymnasiums ein; sein Freund Caspar Neher (1897-1962), der spä-ter als Bühnenbildner berühmt wird, besucht die selbe Schule.

Als Gymnasiast schreibt Brecht die ersten provozierenden Gedichte, in der eine Opposition gegen die herrschende Moral seiner bür-gerlichen Umgebung deutlich wird. Es entsteht sein erstes Drama "Die Bibel". Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges lassen sich Brecht und seine Freunde zuerst von der allgemeinen nationalen Begeisterung anstecken; als die ersten Berichte von den schrecklichen Ereignissen an der Front eintreffen, distanziert sich Brecht von jeder Kriegsbegeisterung. Über seine Schulzeit schreibt er später an Herbert Ihering: "Während meines
9jährigen Eingewecktseins in einem Augsburger Realgymnasiums gelang es mir nicht, meine Lehrer wesentlich zu för-dern." (Sinn und Form 1958, H.1, S.31).

Kurz vor Ostern 1917 legt Brecht das "Notabitur" ab und immatrikuliert sich Ende des Jahres an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Jetzt reist er zwischen München und Augsburg hin und her; gemeinsam mit Freunden werden die Theaterereignisse in bei-den Städten aufmerksam verfolgt Im Sommersemester beginnt Brecht mit dem Medizinstudium, wird aber als Sanitätssoldat eingezogen und erlebt das Kriegsende in einem Augsburger Lazarett. Während der revolutionären Unruhen nach Auflösung des Kaiserreichs engagieren sich Brecht und Neher im Münchener Kulturle-ben. Brechts Stück "Baal" wird fertig. Im "Baal" deutet sich die Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Moral erstmals an; der Held des Stücks bricht aus der bürgerlichen Gesellschaft aus und wird asozial. Er stirbt, weil er als Individuum in einer asozialen Ge-sellschaft nicht leben kann. 1919 wird Brechts erster Sohn Frank geboren; Mutter ist seine Ju-gendfreundin Paula ("Bie") Banholzer. Brecht sucht Kontakte mit Theatern und Verlegern und verfaßt Theaterkritiken für die USPD-Zeitung "Volkswille". Da er kaum noch an Vorlesungen teilnimmt, wird er 1921 exmatrikuliert. Im No-vember fährt er nach Berlin und versucht auch dort, einen Theater-Vertrag zu bekommen; seine finanzielle Lage ist hoffnungslos; Brecht wird wegen Unterernährung in die Charitè eingeliefert. Der Verleger Kiepenheuer veröffentlicht den Baal" in einer Auflage von 800 Exemplaren. Endlich gelingt es Brecht an den Münchner Kammerspielen einen Vertrag als Dramaturg abzuschließen. Es entsteht ein zweites Stück, "Trommeln in der Nacht", in dem sich Brecht mit dem revolutionären Kampf der Spartakisten be-schäftigt.

1920 ist die Mutter gestorben und zwei Jahre später heiratet Brecht die Sängerin Marianne Zoff. Für das Stück "Trommeln in der Nacht" wird ihm der Kleist-Preis durch Herbert Ihering verliehen. Brecht lernt den damals schon bekannten Schriftsteller Lion Feuchtwan-ger (1884-1954) kennen, mit dem er später oft zusammenarbeitet. Feuchtwanger zeigt sich begeistert von dem jungen Autor. Ange-regt durch Karl Valentin entstehen mehrere Einakter. In München wird "Trommeln in der Nacht" uraufgeführt; dabei werden erstmals Mittel der Verfremdung auf der Bühne eingesetzt; die Fabel des Stücks widerspricht der Erwartung der Zuschauer. Statt revolutio-näres Engagement zu beweisen, bleibt der Held, ein aus dem Krieg heimgekehrter Soldat, im bürgerlichen Millieu und schläft mit sei-ner "beschädigten" Braut, während draußen um die politische Zu-kunft Deutschlands gekämpft wird. Die Uraufführung von "Im Dickicht" (späterer Titel "Im Dickicht der Städte") am Münchener Residenztheater löst Proteste aus; das Stück wird vom Spielplan abgesetzt. Schauplatz ist die amerikanische Stadt Chicago, die als Kulisse für die Darstellung der Einsamkeit des Menschen in der Großstadt dient. 1923 wird Hanne. Tochter Brechts und Marianne Zoffs geboren, die sich später unter dem Namen Hanne Hiob einen Namen als Schauspielerin macht. 1924 wird in München das "Le-ben Eduard des Zweiten von England" aufgeführt, das Brecht ge-meinsam mit Lion Feuchtwanger übersetzt hat. Mit dieser Mar-lowe-Bearbeitung sollte die erstarrte Shakespeare-Tradition auf deutschen Bühnen gebrochen werden.


2. Berlin

1924 siedelt Brecht nach Berlin über und arbeitet unter Max Reinhardt als Dramaturg am Deutschen Theater. Er wohnt mit seiner späteren zweiten Frau Helene Weigel zusammen. Gemeinsam mit der Weigel, Caspar Neher und Elisabeth Hauptmann arbeitet er an verschiedenen Berliner Theatern. 1926 wird Brechts zweiter Sohn Stephan (Mutter: Helene Weigel) geboren. Ein Jahr später erscheint die "Hauspostille", eine Sammlung von Gedichten aus den Jahren 1915-1926. In Berlin sind die Widersprüche der bürgerlich-kapitalistischen Welt nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs besonders augenfällig. Brecht und seine Mitarbeiter erkennen, daß mit den Mitteln des traditionellen Theaters das moderne Publikum nicht mehr angesprochen werden kann. Zeitweilig arbeitet Brecht an der revolutionären Piscator-Bühne mit. Nach älteren Plänen entsteht das Stück "Mann ist Mann", in dem die Fabel um den Packer Galy Gay erzählt wird, der nicht nein sagen kann und deshalb in einen brutalen, entindividualisierten Kolo-nialsoldaten "ummontiert" wird. Brecht setzt neue Mittel auf der Bühne ein: die Zuschauer erhalten Einblick in das Geschehen hinter den Kulissen; das Stück enthält Songs, die den Gang der Handlung kommentierend unterbrechen. 1927 lernt Brecht den Komponisten Kurt Weill (1900-1950> ken-nen; es entsteht das Songspiel "Mahagonny". Die "Hauspostille", eine weitere Gedichtsammlung, erscheint und Brecht wird von seiner ersten Frau, Marianne Zoff, geschieden. Die Freundesgruppe um Brecht beschäftigt sich in den späten zwanziger Jahren mit politisch-ökonomischen Problemen und studiert die Schriften von Karl Marx. Brecht wird besonders durch sei-nen Freund, den marxistischen Kritiker Walter Beniamin(1892-1940), beeinflußt, der ihn weiter mit dem Marxismus bekannt macht. In Berlin besucht er die MASCH (marxistische Arbeiterschule) und entscheidet sich am Ende der zwanziger Jahre für die revo-lutionäre Arbeiterklasse.
Brecht stellt seine Arbeit immer mehr in den Dienst der Arbeiterbewegung, ohne selbst Mitglied der KPD zu werden. Über seine politische Bewußtseinsveränderung schreibt er später:

"Ich bin aufgewachsen als Sohn Wohlhabender Leute. Meine Eltern haben mir Einen Kragen umgebunden und mich erzogen In den Gewohnheiten des Bedientwerdens und unterrichtet in der Kunst des Befehlens. Aber als Ich erwachsen war und um mich sah, Gefielen mir die Leute meiner Klasse nicht, Nicht das Befehlen und nicht das Bedientwerden. Und ich verließ meine Klasse und gesellte mich zu den geringen Leuten." (GW9, S.721.)

Als Auftragsarbeit entsteht 1928 "Die Dreigroschenoper", in der das Gaunermilieu als wahres Gesicht der kapitalistischen Gesellschaft entlarvt wird. In Dialogen und den inzwischen weltbekann-ten Songs, die Kurt Weil vertont hat, wird zugleich die gewohnte Form des Kunstgenusses parodiert. Nach der Uraufführung wird Brecht international bekannt. Am 10. April heiratet er Helene Weigel. In Leipzig wird 1930 die Oper "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny"

aufgeführt; Brecht lernt die Komponisten Paul Dessau (geb. 1894) und Hanns

Eisler (1898-1962) kennen. Mit verschiedenen Freunden werden die Lehrstücke "Der Ozeanflug", "Die Maßnah-me", "Die Ausnahme und die Regel" und "Der Jasager und Der Neinsager" erarbeitet. In den Lehrstücken zeigt sich endgültig die marxistisch-klassenkämpferische Position Brechts; sie dienen der Kritik der eigenen bürgerlichen Position und sind getragen von einem neuen Selbstverständnis zu Fragen der Parteinahme für die kommunistische Revolution, die Sowjetunion und die Kommunisti-sche Partei.

Die Tochter Maria Barbara wird geboren, Mutter ist Helene Weigel. Der Verleger Kiepenheuer beginnt mit der Herausgabe einer Reihe unter dem Titel "Versuche", in der in unregelmäßigen Abständen Brechts Werke veröffentlicht werden. Brechts veränderte gesellschaftspolitische Haltung wird auch für seine Theaterpraxis be-deutsam; in den Jahren zuvor hat sich für Brecht und seine Freun-de herausgestellt, daß die traditionelle Bühne und das klassische Theater nicht mehr in der Lage waren, die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse angemessen darzustellen. Mit der Erarbeitung des "epischen Theaters" distanziert sich Brecht von der traditionellen aristotelischen Dramatik, deren Hauptziel darin bestand, das Publi-kum durch eine möglichst perfekte Illusion zur Identifikation mit den dramatischen Helden zu bewegen. Brechts neue Konzeption beabsichtigt im Gegenteil eine Distanzierung der Zuschauer, die Theater als Appell an ihre Vernunft erleben sollen, damit die darge-stellten Probleme immer wieder neu durchdacht und alle Aussagen kritisch hinterfragt werden können. Zu den Fragen und Problemen der dramatischen Mittel seiner neuen Theaterkonzeption veröffent-licht Brecht verschiedene theoretische Abhandlungen. In Berlin wird die Verfilmung der "Dreigroschenoper" abgeschlos-sen. Zwischen August
1931 und Februar 1932 produzieren Brecht, der proletarisch-revolutionäre Schriftsteller Ernst Ottwalt und der Regisseur

Siatan Dudow den Film "Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?"

Unter Mitarbeit von Slatan Dudow, Hanns Eisler und Günther Weisenborn (1902-1969) entsteht das Stück "Die Mutter" nach Gorki, das die Entwicklung einer Arbeiterfrau zur Revolutionärin zeigt.

1929/30 schreibt Brecht "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" das Heilsarmee-Mädchen Johanna versucht vergeblich, das Proletariat mit Bibelsprüchen zu bessern und seine Not mit Almosen zu lindern. Sie scheitert bei ihrem Versuch, die Reichen durch vernünf-tige Argumente zu ändern und muß erkennen, daß sie nur das Spiel der Kapitalisten unterstützt hat. Das Stück verwendet mit parodi-stischer Absicht Elemente aus Schillers "Jungfrau von Orleans". Im März 1932 wird der Film "Kuhle Wampe" von der Zensur verboten und erst nach einigen Änderungen wieder freigegeben. Die Kämpfe zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten nehmen immer schärfere Züge an.
In Brechts Wohnung beschäftigt sich ein Freundeskreis, der der KPD nahesteht, mit Fragen materialistischer Dialektik; es werden Texte von Hegel, Marx und Lenin gelesen.

Die politischen Verhältnisse nach der Machtübernahme durch die Nazis zeichnen sich bereits ab; Brecht und viele seiner Freunde sind auf eine Emigration aus Deutschland vorbereitet.


3. Flucht und Exil

Am 28. Februar l933, einen Tag nach dem Reichstagsbrand, emigrieren Brecht und viele seiner Mitarbeiter aus Deutschland. Über Prag, Wien, Zürich und Paris gelangt Brecht nach Dänemark; dort kauft er auf der Insel Fünen ein
Haus und läßt sich mit seiner Fami-lie nieder. Der "Dreigroschenroman" und das Lehrstück "Die Horatier und die Kuratier" entstehen.

Brecht versucht im Exil, gemeinsam mit anderen Emigranten, seine dramaturgische Arbeit fortzusetzen. 1935 reist er nach Moskau; kurze Zeit später erkennen ihm die Nazis die deutsche Staatsbürgerschaft ab. In Paris nimmt er am Internationalen Schriftstellerkongreß teil und warnt die Welt vor dem Faschismus. Brecht und Eisler versuchen, Einfluß auf die Inszenierung der "Mutter" in New York zu gewin-nen, können sich aber nicht durchsetzen, werden vor die Tür ge-setzt und müssen mit ansehen, wie die Aufführung ein Reinfall wird.

Brecht arbeitet an verschiedenen Emigrantenzeitschriften. zeichnet gemeinsam mit Lion Feuchtwanger und Willi Brendel als Heraus-geber der in Moskau erscheinenden Zeitschrift Das Wort" und be-reist mehrere europäische Städte. Nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs entsteht das Stück "Die Gewehre der Frau Carrar", das im Oktober 1937 in Paris aufgeführt wird. Brecht schildert den vergeblichen Versuch einer Mutter, sich und ihre Kinder aus
den Bürgerkriegsereignissen herauszuhalten und ihre Wandlung zur Revolutionärin.

Aus mehreren Einaktern wird "Furcht und Elend des Dritten Reichs" zusammengestellt, das ebenfalls in Paris uraufgeführt werden kann. In der Exilzeitschrift "Das Wort" kommt es zu einer Auseinandersetzung mit dem marxistischen Theoretiker Georg Lukacs (1885-1971) über Fragen des Realismus.

Im Exil entstehen Brechts bedeutendste Stücke; bei allen Unterschieden von Gestaltungsweise und Thematik ist ihnen gemeinsam, daß sie dieFunktionsweise der kapitalistischen Gesellschaft analysieren und den Zuschauer durch die parabelhafte Darstellung zu Kritik und Veränderung aufrufen. Das Parabelstück "Der gute Mensch von Sezuan" beschreibt die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Sezuan steht für alle Orte auf der Erde, in de-nen Unterdrückung herrscht; die Doppelgestalt Shen Te - Shui Ta verkörpert sowohl die Deformation des Menschen im Kapitalismus als auch die Sehnsucht nach einer humanen Welt. Die Frage, ob man nach humanen Gesetzen in einer kapitalistischen Welt leben kann, wird negativ beantwortet. Die Götter sind den Konflikten ge-genüber ohnmächtig; sie können die Widersprüche nicht lösen. Es bleibt die Einsicht beim Publikum, daß eine andere Welt gebraucht wird, die frei von Widersprüchen ist, frei von den Widersprüchen, die ein humanes Leben des "guten Menschen" nicht zulassen. 1938 entstehen einige Novellen und theoretische Schriften unter dem Titel "Der Messingkauf".

"Das Leben des Galilei" wird fertiggestellt. Mit diesem Stück, das später zweimal überarbeitet wird, stellt Brecht den Konflikt des Wissenschaftlers dar, der ein neues Weltbild schafft, das Einfluß auf die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit hat. Galilei ver-sagt aus Angst vor der Obrigkeit, die ihn zwingt, seine Entdeckun-gen aus dem Bereich von Physik und Astronomie für sich zu behal-ten. Damit wird die Frage nach dem Verhältnis von wissenschaftli-chem Fortschritt und gesellschaftlicher Moral, also die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft, gestellt. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 bereitet Brecht sei-ne Emigration
in die USA vor; Zwischenstation ist die Insel Lidingö vor der schwedischen Hauptstadt Stockholm. Im selben Jahr stirbt der Vater in Augsburg. Brecht arbeitet an dem Roman "Die Geschäfte des Herrn Julius Cäsar" und schreibt den Hörspieltext "Das Verhör des Lukullus".

Ende 1939 wird auch "Mutter Courage und ihre Kinder" fertig; dieses Stück ist nach der "Dreigroschenoper" Brechts bekanntestes Werk; die Marketenderin Courage verliert ihre Kinder, weil sie der Meinung ist, am Krieg Geld verdienen und ihre Vorteile haben zu können, ohne ihm einen Tribut leisten zu müssen. Der Krieg ist aber kein unabwendbares Schicksal, dem die Menschheit hilflos ausgeliefert ist, sondern wird von Menschen gemacht, die ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen. Diese Warnung vor dem Krieg sollte eigentlich vor Ausbruch des weltweiten Eroberungskrieges der Nazis aufgeführt werden, wurde aber zu spät fertig, um noch Wirkung haben zu können. Als im April 1940 deutsche Trup-pen in Dänemark und Norwegen einmarschieren, verläßt Brecht Schweden und fährt nach Helsinki. Hier schließt er die Arbeit am "Guten Menschen" ab und kann auch sein Stück "Herr Puntila und sein Knecht Matti" beenden. Der Grundbesitzer Puntila leidet immer dann unter der Unbarmherzigkeit des Kapitalismus, wenn er betrunken ist; im nüchternen Zustand ist er ein unerbittlicher Aus-beuter. Sein Knecht Matti durchschaut ihn und zeigt das wahre Ge-sicht des Verhältnisses zwischen Herr und Knecht: der Herr wird zum Knecht des Knechts. Schließlich verläßt Matti seinen Herrn. Brecht arbeitet an den "Geschichten vom Herrn Keuner" und be-ginnt mit der Niederschrift der "Flüchtlingsgespräche". Anfang 1941 entsteht unter Mitarbeit von Margarete Steffin "Der unaufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui"; eine bittere Komödie, in der mit den Mitteln der klassischen Tragödie die faschistische Ter-rorherrschaft auf das Chicagoer Gangstermilieu übertragen und so Ausmaß und Größe der faschistischen Verbrechen dargestellt wer-den.

Am 19. April 1941 wird in Zürich "Mutter Courage und ihre Kinder" uraufgeführt; Brecht ist unzufrieden mit dieser Inszenierung, weil er aus den Theaterkritiken entnehmen kann, daß man seine Absicht mißverstanden und aus dem Lehrstück eine Tragödie gemacht hat. Über Sibirien und Manila gelangt Brecht auf der Flucht vor den nach Finnland vorrückenden Faschisten nach Los Angeles. In San-ta Monica, einem Stadtteil von Hollywood, läßt sich die Familie nieder.

Durch den schnellen Vormarsch der Deutschen sind die Möglich-keit für eine Theaterarbeit immer geringer geworden; Brecht kann kaum noch mit Tantiemen für Aufführungen seiner Stücke rechnen und versucht deshalb, in der Filmindustrie einen Job zu erhalten. Es bleibt bei den Versuchen, da Brecht mit den Arbeitsverhältnissen in den USA nicht zurechtkommt. In Santa Monica besteht eine deutsche Emigrantenkolonie, zu der auch Freunde Brechts gehören. Durch sporadische Filmaufträge und großzügige Unterstützung von Freunden kann sich die Familie durchschlagen. Brechts Sohn Frank fällt als deutscher Soldat in Rußland; sein Sohn Stefan wird amerikanischer Staatsbürger und bleibt später in den USA.

Die Teilnahme an Diskussionen eines Soziologenkreises um die Theoretiker Max Horkheimer und Herbert Marcuse ("Frankfurter Schule") liefert Brecht Materialien für den "Tui-Roman", einer Sati-re auf theoretisch-isolierten Intellektualismus. Gemeinsam mit Lion Feuchtwanger schreibt Brecht 1943 "Die Geschichte der Simone Machard", die Geschichte des Kampfes eines Dienstmädchens gegen Kollaboration und Kapitulationsbereitschaft der besitzenden Klasse in Frankreich während der Nazi-herrschaft.

Im Februar 1943 wird wiederum in Zürich "Der gute Mensch von Sezuan" und im September "Leben des Galilei" aufgeführt. Brecht hat Kontakte zum Emigrantenkreis um den Leiter des Malik-Verlages, Wieland Herzfelde; er gehört zu den Mitbegründern des "Nationalkomitees Freies Deutschland". Der Versuch, alle deutschen Hitlergegner im Exil zu einen, schlägt fehl, weil die Gegensätze zwischen marxistischen und bürgerlichen Intellektuellen nicht überbrückt werden können.

1944 entsteht "Der kaukasische Kreidekreis", eine Parabel um den schlauen Richter, der ein Kind nicht der leiblichen Mutter zuspricht, sondern einem Mädchen, das sich seiner angenommen hat; die Parabel ist eingebettet in eine Rahmenhandlung, in der kaukasische Kolchosbauern über die richtige Verteilung der Güter unter die Menschen diskutieren, die bereit sind, am Aufbau des Sozia-lismus mitzuarbeiten.

In "Schwejk im Zweiten Weltkrieg" versetzt Brecht 8. Haseks Romanhelden in die Zeit der faschistischen Okkupation der Tschechoslowakei. Anfang 1945 beginnt Brecht damit, das Kommunistische Manifest in Verse zu übertragen; es entsteht ein fragmentarisch gebliebenes "Lehrgedicht von der Natur der Menschen". Mit dem englischen Schauspieler Charles Laughton übersetzt er den "Galilei" ins Englische und erarbeitet eine Modellinszenierung. Die Figur des Galilei wird völlig neu umgearbeitet. 1947 wird der "Galilei" mit Charles Laughten in der Hauptrolle in Beverly Hills uraufgeführt.

Brecht bemüht sich sofort nach Kriegsende um eine Rückkehr nach Europa. Am 30. Oktober 1947 wird er vor dem "Komitee für antiamerikanische Umtriebe des Kommunistenjägers McCarthy über seine Beziehung zur KPD verhört.


4. Rückkehr nach Deutschland

Brecht fliegt am nächsten Tag nach Paris. Am 5. November trifft er in Zürich wieder mit Caspar Neher zusammen. In der Schweiz sucht er nach Arbeitsmöglichkeiten; es gelingt, in Chur 1948 die von Neher und Brecht bearbeitete und eingerichtete "Antigone" des So-phokles aufzuführen.
Brecht schreibt das "Kleine Organen für das Theater" und erlebt die Uraufführung des "Puntila" am Züricher Schauspielhaus. Ende des Jahres verhandelt er in Salzburg über eine Anstellung. Noch weiß Brecht nicht, in welchem Teil des besetzten Deutsch-lands er sich niederlassen soll; aus Ostberlin erhält er ein Angebot, dort seine Theater-Arbeit fortzusetzen; eine Einreise in die amerikanische Besatzungszone wird nicht gestattet. Brecht bemüht sich um die österreichische Staatsbürgerschaft, die er und seine Frau nach langem Warten 1950 auch erhalten. Schon Ende 1948 reist er kurz nach Ost-Berlin, wedle Arbeit an der ,Mutter Courage" sofort begonnen wird. In Zürich sucht er gemeinsam mit Helene Weigel Mitarbeiter für ein geplantes "Berliner En-semble". Im Sommer 1949 beginnt die Arbeit des Berliner Ensembles, die von der Regierung der DDR großzügig unterstützt wird. In Berlin endlich findet Brecht alle Voraussetzungen für eine Theaterarbeit, die der praktischen Verwirklichung seiner im Exil ausgear-beiteten Theorie vom epischen Theater dient. Brecht bearbeitet den "Hofmeister" von Lenz und veröffentlicht die "Kalenderge-schichten". Der Verleger Peter Suhrkamp setzt die unterbrochene Reihe der "Versuche" mit Heft 9 "Mutter Courage und ihre Kinder" fort. Nach einer Probeaufführung der von Paul Dessau vertonten Oper "Das Verhör des Lukullus" wird von der SED heftige Kritik geübt; Brecht arbeitet die Oper um, die nun den Titel "Die Verurteilung des Lukullus" trägt. Im Oktober 1951 wird Brecht der Nationalpreis 1. Klasse der DDR verliehen. Er bearbeitet Shakespeares "Coriolan" und Anna Seghers' "Der Prozeß der Jeane d'Arc zu Ruoen 1431" Im Mai 1953 wird Brecht zum Präsidenten des PEN-Zentrums Ost und West gewählt. Im Sommer desselben Jahres entsteht "Turan-dot oder Der Kongreß der Weißwäscher".

Neben der Arbeit mit dem Berliner Ensemble, die zu den großartigsten Theaterexperimenten der Welt gehört, und die zu verschiedenen Modellinszenierungen Brecht'scher Stücke führt, reist Brecht auch ins westliche Ausland. Während der Unruhen 1953 in der DDR gerät Brecht in einen Konflikt zur Partei; er teilt in einem Tele-gramm aber seine Ergebenheit mit und schließt sich damit der offi-ziellen Interpretation der Ereignisse als gezielter Störaktionen und Provokationen durch den Westen an. Im Januar 1954 wird Brecht in den künstlerischen Beirat des Mini-steriums für Kultur berufen. Das Berliner Ensemble zieht in ein ei-genes Haus um, das Theater am Schiffbauerdamm; zur Eröffnung wird die von Brecht neubearbeitete Molière-Komödie "Don Juan" gespielt. Brecht wird Vizepräsident der Deutschen Akademie der Künste und erhält in Moskau im Mai 1955 den Stalin-Friedenspreis. Kurz darauf beginnen die Arbeiten zum "Courage-Film" in den DEFA-Studios, die jedoch bald wegen Meinungsverschiedenheiten zwischen Regisseur Staudte und Brecht abgebrochen werden. Der Film wird erst fünf Jahre später fertiggestellt.

Es wird viel darüber gemutmaßt, welches Verhältnis Brecht in seinen letzten Jahren zur politischen Führung der DDR hatte. Je nach Standpunkt der Autoren wird einmal jede Differenz geleugnet (DDR-Interpretation) oder ein Widerspruch zwischen Brecht und den füh-renden SED-Politikern vermutet (Westliche Interpretationen). Mög-lich wäre, daß Brecht sich für Ost-Berlin entschieden hat, weil er als Marxist am Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft mitarbei-ten wollte. Belege dafür gibt es allerdings nicht.

Später hat er sich dann mehr oder minder zur DDR und ihrer politischen Führung bekannt und verschiedentlich restaurative Tendenzen in der Bundesrepublik kritisiert. Sicher ist aber, daß Brecht in vielen Fragen nicht mit der offiziellen Kulturpolitik der DDR übereinstimmte; inwieweit ein Konflikt vorlag, kann freilich erst beantwortet werden, wenn das umfangreiche Material aus dem Nachlaß ausgewertet ist, das ~ erst zu einem Teil veröffentlicht wurde.

Brecht ist am 14 August 1956 achtundfünfzigjährig an einem Herzinfarkt gestorben und wurde auf dem Dorotheenfriedhof in Berlin beigesetzt.

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