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Charakteristik der Hauptfigur „Bahnwärter Thiel“ im gleichnamigen Werk - Referat
„Bahnwärter Thiel“ ist die Hauptfigur aus der gleichnamigen Erzählung von Gerhart Hauptmann aus dem Jahr 1888. Diese behandelt die Geschichte von Thiel, der nach dem Tod seiner ersten Frau eine neue Ehe eingeht, die schlussendlich in einer Katastrophe endet.
Der Bahnwärter Thiel ist ein stark wirkender Mann mit „herkulischer Gestalt“ (S.5, Z.17f.), „sehnigen Armen“ (S.6, Z.40) und einem „breiten, behaarten Nacken“ (S.5, Z.31). Er ist ein Mensch, der auf sein Äußeres achtet, was man zum Beispiel an seinem außergewöhnlich ordentlichen Auftreten trotz seiner Trauer um seine Frau (vgl. S.5, Z.26-34) und seinen „wohlgeölt[en] und militärisch gescheitelt[en]“ (S.5, Z.30) Haaren erkennen kann.
Sein eher kräftiges Äußeres steht im Kontrast zu seinem Inneren, er ist ein emotionaler und liebenswerter Mann und „es war, als trüge er etwas in sich, wodurch er alles Böse [...] reichlich mit Gutem aufgewogen erhielt.“ (S.7, Z.4ff.) Jedoch ist er auch willensschwach und eher passiv. Der Wärter geht gewissenhaft seiner Arbeit nach und besucht jeden Sonntag die Kirche (vgl. S.5, Z.1ff.). Er hat einen Sohn namens Tobias aus erster Ehe mit seiner Frau Minna, die jedoch kurz nach der Geburt ihres Sohnes verstarb. Auch aus zweiter Ehe hat er ein Kind, welches jedoch nicht namentlich erwähnt wird.
Sein Sohn Tobias erhält viel Zuneigung von ihm (vgl. S.10 Z.30f. und S.11, Z.20-25) und ist gleichzeitig eine wichtige Erinnerung an seine verstorbene Frau. Diese liebt er weiterhin, die Ehe mit der Kuhmagd Lene ist mehr zweckmäßig, um seinem Sohn eine Mutterfigur zu geben (vgl. S.6, Z.1-17) und seine sexuellen Bedürfnisse zu erfüllen (vgl. S.7, Z.24ff. und Z.29ff.). Lene ist ihm jedoch stark überlegen, was ihn abhängig von ihr macht. Sie misshandelt Tobias, während der Vater als Bahnwärter tätig ist.
Die Abgelegenheit seines Postens und die Tatsache, dass er Minna immer noch liebt, führt dazu, dass Thiel sein Leben und seine Umgebung in zwei Teile teilt; seine Bahnwärterhütte erklärt er als „geheiligtes Land“ (S.7, Z.35f.), dort betet er seine verstorbene Frau an. Diese Teilung spiegelt sich auch emotional wider: Zuhause ist er zu kraftlos, um etwas gegen die Misshandlung seines Sohnes zu tun, während er im Bahnhäuschen in Wahnvorstellungen von Minna verfällt, die er kaum von der Realität unterscheiden kann. Diese Wachträume zeigen dem Bahnwärter seine tiefsten Ängste, wie zum Beispiel seinen Sohn zu verlieren (vgl. S.19, Z.35ff.), und führen ihn schließlich in den Wahnsinn.
Vor seiner Unfähigkeit, sich gegen Lene zu stellen, „empfnd[et] [er] Ekel“ (S.8, Z.6), besonders in den Situationen, in denen er an seine verstorbene Frau denkt, der er versprochen hat, stets gut für Tobias zu sorgen (vgl. S.6, Z.14ff.).
Die Teilung von Thiels Leben in zwei Bereiche scheitert, als seine Frau durch einen neuen Acker seinem Arbeitsplatz nahekommt. Zuerst scheint das für den Bahnwärter keine gravierenden Auswirkungen zu haben, auch wenn er bereits leichte Bedenken hat. (vgl. S.22, Z.5f.) Er lässt sich darauf ein, da ihm Gegenargumente fehlen (vgl. S.22, Z.8f.) und er die Freude von Tobias bemerkt (vgl. S.22, Z.10-13). Der Vormittag verläuft harmonisch und Thiel genießt die Zeit mit seinem Sohn. Als Lene nach dem Mittagessen Tobias mitnimmt, spürt Thiel auf einmal großes Unbehagen. Er wird „von plötzlicher Besorgnis ergriffen“ (S.24, Z.16), warnt Lene vor der Gefahr der Bahngleise, erhält von Lene aber nur eine gleichgültige Reaktion.
Beim darauffolgenden Unfall mit einem vorbeifahrenden Zug wird Tobias stark verletzt, und stirbt wenig später. Thiel steht unter Schock, ist fassungslos und will das Geschehen nicht wahrhaben, hofft, dass es „ein Traum sein“ würde (S.26, Z.40).
Dieses einschneidende Ereignis ist der Wendepunkt in Thiels Leben. Seine Psyche wird endgültig destabilisiert und er verfällt in völligen Wahnsinn. Er leidet stark unter dem Verlust all seiner geliebten Personen. Aus einer Kurzschlusshandlung heraus tötet er schließlich Lene und seinen zweiten Sohn (vgl. S.32, Z.3-14). Er wird auf den Schienen an der Stelle von Tobias‘ Unfall aufgefunden, das „braune Pudelmützchen im Arm“ haltend (S.32, Z.24), das er wie etwas Lebendiges liebkost und symbolisch für seinen verlorenen Sohn steht (vgl. S.32, Z.20-25). Am Ende wird Thiel in die Psychiatrie eingewiesen, er klammert sich bis zum Schluss „mit eifersüchtiger Sorgfalt und Zärtlichkeit“ (S.32, Z.42f.) an das Mützchen seines Kindes (vgl. S.32, Z.37-41).
Im gesamten Werk ist auffällig, dass sich die geistige Gesundheit Thiels parallel zum Verlauf der Geschichte verschlechtert. Sein psychischer Zustand entwickelt sich in eine katastrophale Richtung, was sich in der Geschichte zunächst nur langsam andeutet und nach dem Wendepunkt schlagartig entfaltet. Seine Lebensteilung in zwei Welten war von Anfang an zum Scheitern verurteilt und mündet in der Katastrophe.
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