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Die Funktion der Ich-Erzählung bei der Verarbeitung von Schuld im Homo Faber - Referat
Inhaltsangabe
Aspekt: Schuld
Wo macht sich Faber schuldig? („Was ist denn meine Schuld?“)
Fabers Schuldwahrnehmung
Verdrängung/ Rechtfertigung/ Selbsttäuschung
Konfrontation durch Hanna
Erkennen, Eingeständnis und Folge
Funktion: Bericht
Erzählperspektive und Unglaubwürdigkeit
Lebensschuld
Was ist die Schuld des postmodernen Menschen?
Quellen
Aspekt: Schuld
Wo macht sich Faber schuldig?
„Was ist denn meine Schuld?“ (S.123)
Per Definition bedeutet Schuld: „die Ursache von etwas Unangenehmen, Bösem oder eines Unglücks, das Verantwortlichsein, die Verantwortung dafür.“ Schuld ist aber auch ein „bestimmtes Verhalten, [eine] bestimmte Tat, womit jemand gegen Werte, Normen verstößt; begangenes Unrecht, sittliches Versagen, strafbare Verfehlung.“
Die Frage, wer an Sabeths Tod schuld ist, lässt sich im Roman nicht gänzlich klären. Wenn man sich fragen würde, wer für ihren Tod verantwortlich ist, würde man wahrscheinlich antworten, dass keiner es ist, denn schließlich wurde sie nicht umgebracht. Und doch hätte eine kleine Veränderung in der Schicksalskette, die das Buch bestimmt, stattfindet müssen und Sabeth wäre vielleicht nicht gestorben. Denn wenn man sich fragt: „Was wäre wenn?“, könnte eine Begegnung Fabers mit Sabeth an vielen Stellen verhindert werden. Zum Beispiel hätte Hanna Faber die Wahrheit über den vermeintlichen Schwangerschaftsabbruch nicht vorenthalten und hätte Faber bei seinem Forschen nach Sabeths Vater weniger viel verdrängt und sich zurechtgelegt, dann hätte er es auch früher herausgefunden. Doch bei der Suche nach einer Antwort auf die Schuldfrage, stellt man bald fest, dass diese nicht geklärt werden kann. Zu viele „Was-wäre-wenn?“-s bestimmen die Untersuchung.
Es bleibt unklar ob Walter Faber schuldig ist. Die entscheidende Situation ist der Moment von Sabeths Unfall. Erst in einem von Faber eingeschobenem Rückblick wird komplett erzählt, was beim Unfall geschehen ist. Davor schilderte Faber zwar, wie er auf den Schlangenbiss Sabeths reagierte, doch nun wird klar, dass er dem Leser etwas Entscheidendes vorenthalten hat.
Sabeth steht, geschockt von dem Biss, auf und sieht den nackten Walter Faber aus dem Meer auf sich zu kommen. Sie schreckt vor ihm zurück und fällt eine ungefähr zwei Meter hohe Böschung herunter. Unter liegt sie bewusstlos und daraufhin bringt Faber sie in ein griechisches Krankenhaus, in dem er den Sturz komplett verschweigt.
„Sabeth steht oben auf der Böschung: Sie hält ihre rechte Hand auf die linke Brust wartet und gibt keinerlei Antwort, bis ich dich Böschung ersteige (es ist mir nicht bewusst gewesen, dass ich nackt bin) und mich nähere – dann der Unsinn, dass sie vor mir, wo ich nur helfen will, langsam zurückweicht bis sie rücklings (dabei bin ich sofort stehengeblieben!) rücklings über die Böschung fällt.
Das war das Unglück.
Es sind keine zwei Meter, eine Mannshöhe, aber als ich zu ihr komme, liegt sie bewusstlos im Sand. Vermutlich Sturz auf den Hinterkopf. Erst nach einer Weile sehe ich die Bisswunde, drei kleine Blutstropfen, die ich sofort abwische, ich ziehe sofort meine Hosen an, mein Hemd, keine Schuhe, dann mit dem Mädchen im Arm hinauf zur Straße, wo der Fort vorbeifährt, ohne mich zu hören“ (S.156f)
Anhand dieser Textstelle würde sich normalerweise feststellen lassen ob Faber schuld ist für Sabeths Tod ist oder nicht. Denn hier wird (endlich) erzählt, was in der Realität sich wirklich abgespielt hat, dort an diesem Tag in Griechenland. Doch Walter Faber ist ein unzuverlässiger Erzähler, deshalb bleibt den Lesern unklar, ob wirklich alles, was er liest, die Wahrheit ist. Oft schon hat Faber sich innerhalb weniger Seiten widersprochen. Innerhalb der obengenannten Textstelle verwendet Faber das Substantiv „Unglück“ und impliziert damit, dass niemand für den Unfall verantwortlich ist. Falls aber das Unglück von jemandem ausgelöst wurde, ist derjenige nach Definition trotzdem schuldig. Es bleibt also ungeklärt ob Faber trotz oder sogar wegen dem, von ihm als zufällig, hingestelltes Unglück schuldig ist. Dagegen widerspricht sich jedoch, dass der Auszug aus dem Roman als Rechtfertigungsstrategie aufgebaut ist und damit ein Indiz für Schuldgefühle. Möglich ist, dass die Schuldgefühle unbewusst sind, da Faber die Schuld während der Textstelle abstreitet. Fabers Verhalten wird hilfsbereit und zu Hilfe eilend beschrieben und steht somit in Kontrast mit dem Verhalten Sabeths, welches schon fast paradox ist, da es wie ein Fehlverhalten rüberkommt, wenn sie von ihm zurückweicht, obwohl er ihr doch nur helfen will. Hier kann man sich allerdings ebenfalls nicht sicher sein, ob das Verhalten Sabeths wirklich zum Fehlverhalten deklariert wird oder ob Faber seine eigene Interpretation und Verdrehung der Ereignisse in die Schilderung einfließen lässt. Wieder bleibt die Unsicherheit durch die Unglaubwürdigkeit des Erzählers.
Man kann nicht endgültig klären, was nun wirklich geschehen ist und somit kann auch nicht geklärt werden, ob Faber schuldig ist oder ob Sabeth durch ihr eigens verschuldetes Zurückweichen sich selbst in den Tod gebracht hat. Es bleibt das Problem des unglaubwürdigen Erzählers, welches dem Leser die Frage aufwirft, was denn nun wirklich stimmt. Selbst Faber frägt sich ob und wie er Schuld hat mit der in den Raum geworfenen Frage: „Was ist denn meine Schuld?“ (S.123) Mit dieser Frage beschäftigt er sich lange und im ganzen Roman treten in Folge dessen unterschiedliche Wahrnehmungen seiner Schuld auf, die eventuell gar nicht seine Schuld ist.
Er macht sich sozusagen schuldlos-schuldig geworden, in dem er geahnt hatte, das Sabeth seine Tochter war und doch die Möglichkeit verdrängt hat und die Tatsachen so hingedreht, dass sie nicht seine Tochter ist. Zusätzlich ist trägt Hanna eine gewissen Mitschuld, indem sie immer Sabeths wahren Vater verschwiegen hat. Die Schuldfrage lässt sich ausweiten, so dass sie nicht nur hinterfragt, ob Faber am Tod Sabeths wegen der Verschweigung der Kopfverletzung schuld ist. Fabers Verschließung vor der Welt, sein selbstgemachte Bildnis und Image von sich und anderen kann ebenso als Schuld gesehen werden. Er hat indem er sich ein falsches Bildnis macht eine Lebensschuld, die der des modernen Menschen beispielhaft vorsteht. (Weiteres dazu unter 1.5 Lebensschuld)
Fabers Schuldwahrnehmung
Fabers Unglaubwürdigkeit als Erzähler wird durch seine wechselnden Schuldwahrnehmungen bestärkt. Über den gesamten Roman hinweg, tauchen Schuldgefühle bei Faber auf mit denen er unterschiedlich umgeht.
Vor allem am Anfang des Romans verdrängt und leugnet er die Schuldgefühle, er schweift ab und erst gegen Ende gesteht er sich seine Schuld ein. Im Folgenden ein paar Beispiele für verschiedene Schuldwahrnehmungen Fabers im Roman.
Verdrängung / Rechtfertigung/ Selbsttäuschung
Fabers Schilderung der Geschehnissen bei dem Unfall fängt mit dem Satz an: „Was den Unfall betrifft, habe ich nichts zu verheimlichen.“ (S.156). Damit gibt er schon selbst zu, dass seine Schilderung keineswegs einen einfach Darlegung der Ereignisse ist, sondern von ihm bewusst zur Rechtfertigung oder Beruhigung seines Gewissens dient.
Durch die Satzstellung wird das Wort „Unfall“ hervorgehoben und betont damit seine Wichtigkeit für Faber. Er will bewusst dem Leser erzählen, dass das nun folgende Ereignis ein „ungewolltes Ereignis“ (Definition für Unfall) ist.
Über die Textstelle (S.165-158) ist es wichtig zu erwähnen, dass die rückblickende Schilderung eine Rechtfertigung Fabers darstellt. Allerdings wird klar, dass es sich hierbei nur um eine Beruhigung seiner Gefühle geht und es kein Schuldeingeständnis ist. Dies wird natürlich besonders deutlich durch die Behauptung „Was den Unfall betrifft, habe ich nichts zu verheimlichen.“ (S.156), denn wenn Faber das zusätzlich behauptet wirkt es verdächtig. Die Rechtfertigung stellt wieder eine Relativierung Fabers da. Er relativiert etwas um es für ihn zu klären und aus seinem Verstand schaffen zu können, denn damit umzugehen wäre er nicht fähig.
Nach Sabeths Tod ist Faber seine bisherige Existenz unerträglich und er geht auf Reisen. Dabei flüchtet er von seinen uneingestandenen Schuldgefühlen. Bis er sich auf Seite 192 selbstbestrafen will und somit seine Schuld einsieht, verdrängt er die Schuld ständig. Direkt nach Sabeths Tod macht Faber eine Reise durch viele Länder wie New York (vgl. S.161), Caracas (vgl. S.165) und Kuba (vgl. S.172). Dort schwankt er zwischen unbedingtem Lebenswillen und den Versuch sich in Arbeit zu stürzen, und somit also etwas zu verdrängen, was ihn beschäftigt und ihm Schuldgefühle macht.
In der Situation, als Faber bei Hanna zu Hause in der Badewanne sitzt und sich Gedanken über Selbstmord und Hanna macht, wird er von Schuldgefühlen belastet. Er spricht sie nicht einmal an, doch kann man an seinem Verhalten deutlich ablesen, dass ihm etwas Unbehagen bereitet. Zum einen antwortet er zwar auf Hannas Aufforderung er solle aus dem Bad kommen, doch er reagiert nicht (vgl. S. 136, Z.4). Um bei Hanna zu bleiben, bildet er sich ein, dass sie ihn „von rückwärts mit einer Axt […] erschlagen [könne]“ (S.136, Z.23). Dies spielt auf den Mythos der Klytämnestra an. In diesem griechischen Mythos opfert Agamemnon seine Tochter Iphigenie um die Göttin Artemis zum Beginn des trojanischen Krieges zu besänftigen. Seine Frau Kytämnestra kann ihrem Mann nicht verzeihen, dass er ihr ihre Tochter genommen hat und so erschlägt sie ihn während er im Bad ist. Diese Konstellation lässt sich leicht auf Faber, Hanna und Sabeth übertragen. Faber, der verantwortlich ist für den Tod der Tochter und somit der Zerstörung von Hannas Leben, wird aus Rache von Hanna im Bad erschlagen. Dies passiert natürlich nicht, doch in dem Moment denkt Faber daran und fürchtet sich von dem Rachemotiv Hannas. Seine Angst vor Rache wurzelt in Schuldgefühlen, denn ohne an etwas schuld zu sein, müsste er sich auch vor keiner Rache fürchten. Es ist typisch für Faber, dass seine wahren Empfindungen und Gefühle nur so zum Vorschein kommen. Durch einen Mythos lässt sich erahnen, was Faber in diesem Moment wirklich fühlt, denn er teil es dem Leser nicht mit. Als rationaler Mensch, von dem er denkt, dass er es sei, gehören für ihn so etwas tierischen und somit niedriges wie Gefühle nicht in sein Weltbild. Somit ist seine Auffassung von Gefühlen regelrecht borniert. Sein normales Verhalten bei Gefühlen ist Verdrängungen und, falls sie stark zum Vorschein kommen, Rechtfertigung. Dass er in dieser Textstelle Schuld nicht einmal erwähnt, obwohl er doch so offensichtlich Schuldgefühle hat, kann damit zusammenhängen, dass Faber Gefühle die er hat nicht einordnen kann. Er hat sich immer eingeredet, dass er seine Empfindungen kontrollieren kann und somit hat er kein Köpergefühl. Gefühle kann sein Verstand nicht systematisieren, denn er hat keine Erfahrung darin mit Gefühlen umzugehen. Seine Verdrängung kann also auch davon stammen, dass er gar nicht wirklich registriert was er fühlt.
Konfrontation durch Hanna
„Ihr Tod kurz nach vierzehn Uhr.
-- Dann vor ihrem Bett, Hanna und ich man kann es einfach nicht glauben, unser Kind mit geschlossenen Augen, genau wie wenn sie schläft, aber weißlich wie Gips, ihr langer Körper unter dem Leinentuch, ihre Hände neben den Hüften, unsere Blumen auf ihrer Brust, ich meine es nicht als Trost, sondern wirklich: Sie schläft! Ich kann es ja heute noch nicht glauben. Sie schläft! Sage ich – gar nicht zu Hanna, die plötzlich mich anschreibt, Hanna mit ihren kleinen Fäusten vor mir, ich erkenne sie nicht mehr, ich wehre mich nicht, ich merke es nicht, wie ihre Fäuste mich auf die Stirn schlagen. Was ändert das! Sie schreit und schlägt mich ins Gesicht, bis sie nicht mehr kann, die ganze Zeit hatte ich nur meine Hand vor den Augen.“ (S.160)
Unmittelbar nach dem Wissen um Sabeths Tod, hat Hanna einen Gefühlsausbruch, den man gut als Zusammenbruch klassifizieren kann. Sie schlägt auf Faber ein und macht damit den Anschein einer Anschuldigung. Sie klagt Faber an für den Tod ihrer geliebten Tochter verantwortlich zu sein. Fabers Reaktion darauf ist von Unverständnis gezeichnet. Faber, der „[sie] nicht mehr [erkennt]“ (S.160, Z.18), versteht Hanna ist diesem Moment voller Schock nicht. Seine instinktives Verhalten ist die Verschließung der Augen durch seine Hand (vgl. Z.23). Er verschließt sprichwörtlich die Augen vor dem was Hanna ihm an den Kopf wirft.
Und obwohl diese Interpretation so gut ins Konzept passt, kann man sich nicht ganz sicher sein ob Hannas Ausbruch wirklich ein Vorwurf gegen Faber ist. Denn mehrfach wird im Buch erwähnt, dass Hanna Faber „kein[en] Vorwurf“ (S.153, Z.9) macht. Und zwar deshalb weil denn für sie sind Männer allgemein „borniert“ (S.140, Z.4) sind und nichts dafür können, alles falsch zu machen oder falsch zu verstehen. In ihren Augen sind Männer minderwertig, oder zumindest in vielen Bereichen, wie Gefühl oder Verständnis von Menschen und der Welt, den Frauen unterlegen, weil der „Man […] nur sich selbst [hört]“ (S.140, Z.12).
Hannas Konfrontation Faber gegenüber mag eventuell keine Anschuldigung sein, aber doch ist Fabers instinktives Verhalten bezeichnet für seinen Umgang mit seiner Schuld. Er verschließt die Augen vor dem was er nicht sehen und erkennen will. Später holen ihn aber seine Schuldgefühle ein und ihm bleibt letztendendes nichts anderes übrig als sie sich einzugestehen.
Erkennen, Eingeständnis und Folge
Die signifikanteste Szene für Fabers Eingeständnis seiner Schuld ist seine Fahrt mit dem Zug aus Düsseldorf fort, wo er bei einer Präsentation seine Filme gezeigt hat, die Sabeth zeigen. Beim Sehen des Bildmaterials kommen mit einer Wucht die gesamten Erinnerungen an Sabeth zurück. Es beschreibt in abgehackten, stoßweisen Sätzen, was er in dem Film sieht und seiner auf Sabeth konzentrierte Erinnerung daran, wie zum Beispiel „Ihr Lachen, das ich nie wieder hören werde – Ihre junge Stimme“ (S.190, Z.1f) oder “Ihr Gesicht, ihr Gesicht – Ihr atmender Körper“ (S.190, Z.25f). Seine fluchtartige Reaktion wird erst in einem Rückblick aus der Sicht der Zugfahrt beschrieben. Dort erkennt er, das Sabeths Tod endgültig ist und vor Trauer darüber schreibt er, dass er „nichts mehr zu sehen [hat]“ (S.192, Z.18). Sabeth symbolisierte seinen Zugang zu einer lebensfrohen, menschlichen Welt, welchen er durch ihren Tod verloren hat. Er macht sich offensichtliche Vorwürfe, denn er wünscht, er „wäre nie gewesen“ (S.192, Z.21). Er gesteht sich nun ein, dass er für ihren Tod verantwortlich ist. Diesem Eingeständnis folgt direkt darauf Fabers Selbstbestrafung.
„Ich sitze im Speisewagen und denke: Warum nicht diese zwei Gabeln nehmen, sie aufrichten in meinen Fäusten und mein Gesicht fallen lassen, um die Augen loszuwerden?“ (S.192)
Mit diesem Gedankenspiel erinnert Faber an den Ödipus-Mythos.
Ödipus wird prophezeit, dass er seinen eigenen Vater umbringen und mit seiner Mutter Kinder zeugen wird. Ödipus’ Eltern werden vom Orakel zu Delphi vor diesem Schicksal gewarnt und setzen daraufhin den jungen Ödipus mit durchstochenen und zusammengebundenen Füssen aus. Ödipus wird in vom Königspaar von Korinth aufgezogen, wo er ebenfalls von seinem Schicksal erfährt. Ödipus verlässt seine vermeintlichen Eltern und begibt sich auf eine Reise, um seinem grausigen Schicksal zu entrinnen. Unterwegs bringt Ödipus dann seinen unwissentlich wirklichen Vater an einer Weggabelung um und heiratet bald darauf seine Mutter – die Prophezeiung erfüllt sich. Irgendwann kommt die Wahrheit ans Licht, Ödipus erkennt seine Schuld und sticht sich als Strafe die Augen aus und symbolisiert damit seine Verkennung der Wahrheit. Er ist blind dafür gewesen.
Mit Fabers Vorhaben die Augen durch die Gabeln loszuwerden, spielt er auf den Ödipus-Mythos an. Dieser steht beispielhaft für das Blindheitsmotiv und Schuldkomplex. Faber erkennt seine Schuld, sein begangener Inzest, und will sich daraufhin durch Selbstjustiz bestrafen. Faber war blind und hat das Verhältnis mit Sabeth verkannt. Er ist voreingenommen und hat ein falsches Bild von sich selbst und anderen. Als Strafe und Symbol seiner Blindheit, will er seine Augen blenden.
Bei Ödipus ist die Idee der Schicksalsunumgänglichkeit von zentraler Rolle. Seine Eltern wollten das Schicksal umgehen und somit die Götter austricksen. Das Schicksal zeigt aber in paradoxer Weise, dass es nicht umgehen werden kann und zurückschlägt.
Durch das Aussetzen durch seine Eltern wird Ödipus scheinbar unschuldig schuldig, denn woher hätte er wissen können, dass seine rechtmäßigen Eltern diejenigen waren die er umgebracht oder geheiratet war. Dieser Aspekt spiegelt sich auch im Homo Faber wieder. Faber hat das Wissen um Sabeth von Hanna vorenthalten bekommen und wusste somit auch nichts von der Wahrheit. Und doch macht sich Faber schuldiger als Ödipus. Er ahnt von der wahren Verbindung zu Sabeth und stellt Nachforschungen an, die er jedoch so manipuliert, dass sie das von ihm gewünschte Ergebnis aufzeigen.
Fabers Erkennen der Schuld folgt der Drang nach Selbstjustiz um sein Vergehen wiedergutzumachen.
Wohingegen Faber im Zug Selbstbestrafung nach Ödipus anstrebt, ist er am Ende des Buches einer anderen Überzeugung. Die Umstände haben sich geändert, so dass Faber jetzt im Krankenhaus liegt, Magenkrebs wurde diagnostiziert und ihn erwartet eine Operation von der er glaubt sie nicht überleben zu können.
Er schreibt in sein Tagebuch: „Ich weiß alles. Morgen werden sie mich aufmachen, um festzustellen, was sie schon wissen, dass nichts mehr zu retten ist. Sie werden mich wieder zunähen, und wenn ich wieder zum Bewusstsein komme, wird es heißen, ich sei operiert. Ich werde es glauben, obschon ich alles weiß. […] Das sagt man so: Wenn ich wüsste, dass ich Magenkrebs habe, dann würde ich mir eine Kugel in den Kopf schießen! Ich hänge an diesem Leben wie noch nie, […] ich werde hoffen, obschon ich weiß, dass ich verloren bin. Aber ich bin nicht allein, Hanna ist mein Freund, und ich bin nicht allein.“ (S.198)
In dieser Textstelle ist Faber sich seines Todes gewiss. Und gerade in diesem Moment erfährt er einen unbedingten Lebenswillen, welcher durch Sabeth entstand und sich während seinem Kubaaufenthalt ausgeprägt hat. Durch diesen Lebenswillen blickt er dem Tod demütig entgegen. Er hat seine hochmütigen Vorstellung von einer technischen Welt mit maschinellen, funktionierenden Menschen zum Teil abgelegt oder heruntergeschraubt. Anders als in der Ödipus-Szene kann Faber mit der erkannten Schuld leben bzw. er will trotz ihr leben. Bei seiner Zugfahrt wollte er sich sofort selbstbestrafen und dies fällt hier weg, auch wenn man beachten muss, dass das Wissen um seinen Tod es leichter macht mit der Schuld umzugehen. Er weiß er wird sterben, sieht das vielleicht auch als gerechte Strafe und ist nicht erleichtert darüber, aber akzeptiert es.
àFabers Umgang mit Schuld endet also damit, dass er sich seine Schuld eingesteht, nachdem er sie lange verdrängt und sich gerechtfertigt hat. Er erwartet daraufhin seinen Tod und sieht diesem demütiger entgegen als er es je davor gewesen ist.
Funktion: Bericht
Obwohl Max Frischs Buch „Homo Faber“ eindeutig ein Roman ist, wird er mit „Ein Bericht“ betitelt. Dies ist so zu erklären, dass alles was in dem Buch geschrieben ist aus Walter Fabers Perspektive kommt. Es sind seine Erinnerungen an Vergangenes welche er durch verschiedene Tagebucheinträge festhält. Es ist eine „typisch moderne diskontinuierliche Erzählung“ und enthält somit die Aufhebung der Chronologie. Fabers rückblickende Erzählung wird durch Unterbrechungen gezeichnet. Immer wieder erfährt der Leser erst etwas in einem Rückblick in der Erzählung, denn obwohl es ein Rückblick ist verschweigt er Sachen, die ihm schwerfallen zu erzählen. Am Anfang des Buches kommen immer wieder Vorausblicke vor, welche andeuten, dass Faber an einem Unglück schuld ist. Sie verdeutlichen den Charakter des Buches als rückblickender Bericht und sind somit vorausgreifende Kommentare wie z.B. „Was ändert es, dass ich meine Ahnungslosigkeit beweise, mein Nichtwissenkönnen! Ich habe das Leben meines Kindes vernichtet und kann es nicht wiedergutmachen.“ (S.72)
Faber konstruiert in seinem „Bericht“ die Vergangenheit nach und somit nimmt er die Rolle einer Rechtfertigung ein. Das Adressieren der Ereignisse soll sein Gewissen beruhigen und seine Schuld(gefühle) revidieren. Die Ereignisse, die er in dem Bericht schildert und zum Tod seiner Tochter Sabeth geführt haben, haben seine ganze Existenz, sein Selbstbild und Weltbild in Frage gestellt. Seine Rechtfertigungen und Selbstvergewisserungen dienen dazu sein altes Ich gegen die Erschütterungen von Sabeths Tod zu behaupten. Beide Versuche, seine Rechtfertigung und seine Behauptung gegen die Erschütterung, scheitern.
à Sein Bericht, der eigentlich eine Rechenschaftsablage sein soll, wird zur Zeugenaussage gegen ihn selbst.
Erzählperspektive und Unglaubwürdigkeit
Der ganze Roman ist aus der Sicht Fabers geschrieben. Nur manchmal erfährt man von anderen Personen ohne Fabers Rückblicke. Dabei schreibt er von Gesprächen in indirekter Rede und erzählt das Gesprochene der anderen nach. Somit erfährt der Leser nie einen objektiven Blick auf das Geschehen. Er ist abhängig von Fabers Erzählungen. Natürlich spielen Fabers eigene Interpretationen in das Erzählte mit ein. Der Roman ist komplett subjektiv geschrieben und von Fabers Einschätzungen und Systematisierungen geprägt. Durch die Abhängigkeit des Lesers vom Erzähler entsteht ein natürliches Misstrauen, bei dem der Leser Erzähltes hinterfragt. Das Misstrauen wird massiv bestärkt durch Fabers Art der Erzählung. Sein Verschweigen von wichtigen Informationen, welche erst nachgereicht werden, hilft nicht dabei Vertrauen an die Glaubwürdigkeit des Erzählers aufzubauen. Seine ständigen Rechtfertigungen und Verallgemeinerungen lassen deutlich erkennen, dass Faber durch die Erzählung sein Gewissen beruhigen will. Seine oft radikale Einstellung Dingen gegenüber und sein Anspruch auf Allgemeingültigkeit polarisiert die Leser stark. Auch die häufige Ambivalenz zwischen Fabers Gefühlswelt und real Erlebten untergraben die Glaubwürdigkeit des Erzählers.
à Durch die personale Erzählperspektive erfährt der Leser immer nur Fabers Blick auf Dinge. Weil aber seine Einstellung dem Leben und der Welt gegenüber oftmals nicht mit dem Erlebten übereinstimmt, zweifelt der Leser an der Glaubhaftigkeit des Erzählers. Auf Grundlage dieses Misstrauen hinterfragt der Leser alles was Faber erzählt. Fabers erzählender Umgang mit schon geschehen Ereignissen baut eine Distanz des Lesers zum Erzähler auf.
Max Frischs mögliche Intension könnte gewesen sein, dass er durch die Distanzierung dem Leser einen unverfälschten, hinterfragenden Blick auf Faber ermöglichen wollte. Faber steht in dem Roman stellvertretend für die „modernen“ Menschen, die versuchen mit Technik die Welt erklärbar und nutzbar zu machen und dabei den Blick für das Unerklärliche und Unmögliche verlieren. Der Roman stellt das Scheitern eines Weltbilds dar, welches vom Menschen nie hinterfragt wurde und vieles einfach einsortiert und systematisiert hat. Und weil Faber ohne Hanna nie seine Einstellung verändert hätte, wird dem Leser den starken distanzierten, misstrauischen Blick geboten um sozusagen nachzuholen, was der moderne Mensch versäumt hat.
Lebensschuld
Fabers Bekanntschaft mit Schuld ist so beispielhaft, dass es sich als Lebensschuld bezeichnen lässt. Die schicksalshaften Ereignisse, die zu einem Treffen Fabers mit Sabeth geführt haben, führen schließlich zu Sabeths Tod. Faber wird schuldig durch die Manipulation seiner Nachforschungen und die Verdrängung der anbahnenden Wahrheit. Und doch ist ebenfalls signifikant, dass sein Verhalten bei der Nicht-Hinterfragung von Sabeth auf seiner Angewohnheit wurzelt, sich ein Bildnis zu machen. Faber hat ein bestimmtes Image von der Welt und macht sich damit ein Bildnis von sich und anderen. Seine anhaltende Unterdrückung von Gefühlen und Rationalisierung, die mit dem Bildnis machen einhergeht, tut man sich selbst und anderen etwas an. Er hinterfragt nie sich selbst und hält sich für einen übergeordneten Menschen. Das Verschließen des Blickes vor Dingen, die die eigene Überzeugung gefährden könnten, führt zur Verkennung. Fabers verkennt, wie Ödipus, die Wahrheit, er ist blind.
Seine eigentliche Lebensschuld besteht also darin, dass er sich selbst ein Bildnis macht und damit verkennt, dass es andere Ansichten und Perspektiven von Dingen gibt. Durch sein Bildnis entsteht ein schuldbeladenes Unglück, welches ohne seine Lebensweise nicht hätte passieren müssen. Dadurch lässt sich Fabers Schuld auf eine Lebensschuld zurückverfolgen, die in dem wurzelt, was den „modernen Menschen“ ausmacht.
Was ist die Schuld des postmodernen Menschen?
Abbildung 1
Achtung! Nur meine Meinung!
(Postmodern= jetzige Mensch, nach (Homo) Faber)
Der Unterschied zwischen der Identität des postmodernen Menschen und des modernen Menschen, für den Walter Faber stellvertretend steht, liegt darin, dass der postmoderne Mensch anfängt die Ambivalenz der Dinge (vor allem am Beispiel der Technik) zu erkennen. Der Mensch wird nie schuldlos sein, weil er lebt. Dies ist so zu verstehen, dass alles was wir Menschen Gutes bewirken, anderswo Schlechtes auslöst oder andere negativ beeinflusst. Doch der Fortschritt der Postmoderne, des jetzigen Menschen, ist das Erkennen der Zusammenhänge. Das Bildnis machen legt auch der postmoderne Mensch nicht ab, denn wir ordnen alles was wir erfahren auf bestimmte, individuelle Weise ein. Wie wir dies tun, wird von unseren Werten, Idealen und dem Umfeld beeinflusst. Das Bildnis bleibt also, doch der postmoderne Mensch erkennt die Makel des Bildnisses und eignet sich somit andere Umsicht an.
Er beharrt nicht mehr wie der Homo Faber auf seinem Bildnis, sondern fängt an die Welt als Ganzes mit ihren Ambivalenzen, Abhängigkeiten und Verbindungen zu sehen. Das Sehen können, das Erkennen der Zusammenhänge führt dazu dass der Mensch erkennt, dass er nie schuldlos ist und leidet.
Quellen
Abbildungen:
Abbildung 1: http://www.buchhexe.com/wp-content/uploads/2013/01/Max-Frisch-Homo-faber.jpg (14.12.2013)
Abbildung 2: http://gromumerich.files.wordpress.com/2010/05/homo3.jpg (15.12.2013)
Abbildung 3: http://www.heilpraktiker-seibold.de/media/images/moderner_mensch.jpg (15.12.2013)
Bücher:
Lachner, J.; Max Frisch Homo Faber Interpretationen Deutsch, Stark Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, 1999
Internetseiten:
http://www.paedubucher.ch/docs/sophokles_koenig-oedipus.html (14.12.2013)
http://www.duden.de/suchen/dudenonline/unfall (10.12.2013)
http://www.duden.de/rechtschreibung/Schuld (10.12.2013)
http://www.schreiben10.com/referate/Literatur/14/Homo-Faber-Max-Frisch-reon.php (12.12.2013)
Kommentare zum Referat Die Funktion der Ich-Erzählung bei der Verarbeitung von Schuld im Homo Faber:
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