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Die Parabel „Heimkehr“ (Kafka) im Vergleich zu „Die Rückkehr“ (Brecht) - Referat
Optional: Wer an das Wort „Heimkehr“ denkt, denkt an Geborgenheit, vielleicht an Kindheitserinnerungen – an das Gefühl, willkommen zu sein. Die Heimkehr als vielfach literarisch verarbeitete Situation ist allerdings nicht so eindeutig positiv besetzt, wie es die ersten Assoziationen vermuten lassen. In Kafkas Parabel mit dem gleichnamigen Titel erfährt die Heimkehr eine deutlich negativere Konnotation.
Wie ein großer Teil der Literatur Franz Kafkas stammt auch „Heimkehr“ aus seinem Nachlass, der 1936 von Max Brod veröffentlicht wurde.
Der Ich-Erzähler der Anfang der zwanziger Jahre verfassten Parabel kehrt heim zu seinem Elternhaus, wo er, von Unsicherheit und Selbstzweifeln geplagt, zögert, einzutreten.
Das Gefühl, fremd zu sein, welches sich als Motiv durch Kafkas ganzes Lebenswerk zieht, prägt auch die Atmosphäre der „Heimkehr“ und wird anhand sprachlicher Mittel wie Satzbau, Metaphorik und Wechsel der Erzählperspektive vermittelt.
Der Titel fungiert hierbei nur als scheinbares Fazit, denn trotz des offenen Endes wird deutlich: Der Protagonist ist nicht keinesfalls heimgekehrt, zumindest nicht emotional.
Jene Erkenntnis tritt allerdings weder auf der Sach- noch auf der Bildebene zutage, da es sich bei „Heimkehr“ um eine Parabel handelt. Die Parabel als Lehrstück kennzeichnet sich dadurch, dass ebendiese Lehre vom Leser selbst ermittelt werden muss. Hierbei kann eine zentrale Metaphorik oder auch der Titel der Parabel als sogenanntes „tertium comparationis“ der Auslöser dafür sein, als Leser auf eine Analogie zu schließen und den Inhalt auf der Bedeutungsebene zu betrachten.
Im ersten Erzählabschnitt wechseln sich innerer Monolog und deskriptive Elemente ab, wobei auch die Erzählperspektive zwischen externer Position und Innensicht des Protagonisten variiert. So lautet der erste Satz der Parabel „Ich bin zurückgekehrt“ (vgl. Z.1), im Anschluss beschreibt der Ich-Erzähler, was sich in seinem Blickfeld befindet, wozu auch „ ein zerrissenes Tuch“ (Z.3) gehört, „einmal im Spiel um eine Stange gewunden“ (Z.3f). Diese Information lässt auf einen auktorialen Erzähler schließen, da er sich in jenem Nachschub auf die Vergangenheit rückbezieht.
Dennoch folgt kurz darauf erneut ein Wechsel, indem der Protagonist sich fragt, wer [wohl] hinter der Tür der Küche warte (vgl. Z.5). Daran schließt die Beschreibung des Rauches an, der aus dem Schornstein komme und darauf zurückzuführen sei, dass Kaffee zum Abendessen gekocht werde (vgl. Z. 6f); eine Erläuterung, die über die Wahrnehmung des außerhalb der Küche befindlichen Ich-Erzählers hinausgeht. Auf diese Weise entsteht ein distanziertes Verhältnis zum Geschehen, das durch die gehäufte Parataxe am Anfang verstärkt wird.
Dazu kommt, dass Kafka konsequent auf wertende Adjektive verzichtet, sodass die Atmosphäre so kühl wirkt wie das Verhältnis des Protagonisten zu seiner Heimat.
Denn ebenso erkaltet wie die Sprache in „Heimkehr“ ist die Beziehung zwischen ihm, seinen Familienmitgliedern und deren Angelegenheiten, mit denen sie sich beschäftigten, die er „teils vergessen habe, teils niemals kannte“ (Z.9). Zwar bezieht sich dieses Geständnis im Kontext auf „Stücke“, die „kalt“ nebeneinander stünden (vgl. Z.8), lässt sich aber von der Bildebene abstrahieren, sodass die unkonkrete Formulierung „Stücke“ symbolisch für die Familienmitglieder des Protagonisten stehen kann. Die Tatsache, dass die Beschreibung nicht präzisiert wird, zeigt, wie wenig innig das Verhältnis ist, dass der, übrigens namenlose, Protagonist zu den „Stücken“ hat, und damit im übertragenen Sinne auch zu seiner Familie und Heimat.
Ein Grund für diesen Zustand können der Erzählung vorausgegangene Ereignisse sein, die das „alte[…], unbrauchbare[…] Gerät“ metaphorisch darstellt. Es wird als „ineinander verfahren“ (Z.2) beschrieben und „verstellt den Weg zur Bodentreppe“. Diese Beschreibung wirkt auf der Sachebene kaum zielführend und scheint die Erzählung inhaltlich nicht zu bereichern, lässt aber die Deutung zu, dass es die „unbrauchbare“ Vergangenheit ist, die den Eingang versperrt, den Protagonisten also an der Heimkehr hindert. Nicht umsonst betont Kafka, dass es sich um ein „altes“ Gerät handelt, das ihm „den Weg“ versperre (vgl. Z.2f).
Auf den Weg als traditionelle Metaphorik für den Lebensweg eines Menschen wird bereits in der ersten Zeile angespielt, indem der Ich-Erzähler verkündet, „den Flur durchschritten“ zu haben.
Da dem Leser nicht enthüllt wird, wo der Protagonist sich vor seiner Heimkehr befunden hat, kann der Flur auch sinnbildlich für den vergangenen Lebensabschnitt stehen, da das feierlich klingende Verb „durchschreiten“ diesbezüglich viel angemessener scheint.
Dass sich der Ich-Erzähler im Anschluss umblickt, ergänzt den Eindruck der Bestandsaufnahme, die ein Mensch nach einem Lebensabschnitt tätigt, um zu rekapitulieren, was er erreicht hat.
In diesem Zustand kehrt der Ich-Erzähler heim, fühlt sich jedoch „sehr unsicher“, wie er es als Antwort auf die von ihm an sich selbst gerichtete Frage „Ist dir heimlich, fühlst du dich zuhause?“ offenbart. Es handelt sich also um den Ausschnitt eines Selbstgespräches, das eine emotionale Nähe zur Gedankenwelt des Erzählers erzeugt.
Im weiteren Verlauf der Parabel wächst jedoch die Distanz – sowohl zwischen dem Leser und dem Erzähler, indem das Geschehen unzuverlässig und teils unverständlich geschildert wird, als auch zwischen dem Protagonisten und seiner Wahrnehmung, wie auch zwischen ihm und seinem Zuhause.
Erstere Distanz entsteht dadurch, dass der Ich-Erzähler bewusst „nur von der Ferne horch[t]“, und zwar „stehend, nicht so, dass [er] als Horcher überrascht werden könnte“ (Z.11f), womit impliziert wird, dass man im Umkehrschluss als sitzender Horcher sehr wohl überrascht werden könne, was allerdings nicht näher ausgeführt und erklärt wird.
Im Übrigen „erhorch[t]“ der Protagonist nichts außer eines „leichten Uhrenschlages“ (vgl. Z. 13), ist sich aber auch nicht im Klaren darüber, ob er den Uhrenschlag – eventuell stellvertretend für das Fortschreiten der Zeit – nun wirklich wahrnimmt oder nicht.
Durch dieses Detail erzielt Kafka einen unwirklichen Effekt, der so charakteristisch für seine Werke ist, dass er in der Literaturwissenschaft direkt nach ihm benannt ist, nämlich mit dem Adjektiv „kafkaesk“ bezeichnet wird.
Der kafkaeske Eindruck wird dadurch verstärkt, dass der Protagonist jenen leichten Uhrenschlag „aus Kindertagen [herüber zu hören]“ (vgl. Z.14) meint,
wodurch sich die temporale und lokale Ebene auf surreale Weise überschneiden. Diese Überschneidung ist ein Mittel des Magischen Realismus‘, dessen sich Kafka bedient, um eine diffus beunruhigende Atmosphäre zu erschaffen, die schon ganz zu Beginn durch die bedrohlich auf dem Geländer lauernde Katze (vgl. Z.3.) angedeutet wird.
Ebenso wie die Katze lauert, also aktiv eine statische Tätigkeit ausführt, werden auch die „dort Sitzenden“ (Z.15) beschrieben, die laut dem Ich-Erzähler aktiv ein Geheimnis vor ihm wahren. Durch diesen subjektiven Eindruck wird verdeutlicht, wie sehr er sich ausgeschlossen fühlt, was sich wiederum in Hinblick auf die schwierige familiäre Situation Kafkas deuten lässt:
Franz Kafka hat sich womöglich auch selbst sein Leben lang als Fremdkörper gesehen, was er auch in seiner Erzählung „Die Verwandlung“ dadurch zum Ausdruck bringt, dass der Protagonist als Käfer aufwacht und in diesem Sinne einen deutlich sichtbaren Fremdkörper darstellt.
Dass der Ich-Erzähler der „Heimkehr“ sich fremd fühle, wird allerdings hinter dem anonymen Pronomen „man“ kaschiert und von der universell anwendbaren Äußerung überschattet, je länger man vor der Tür zögere, desto fremder werde man (vgl. Z.15f).
Die Parabel endet mit zwei Fragen, in Ermangelung von Fragezeichen als Aussagen präsentiert: Der Protagonist fragt sich, was wäre, wenn ihm die Tür geöffnet und ihn etwas gefragt würde – ob er dann nicht selbst „wie einer“ wäre, der sein Geheimnis wahren wolle (vgl. Z.16ff). Worin das Geheimnis besteht, erfährt der Leser nicht, wohl jedoch, wie weit sich der Ich-Erzähler von sich selbst distanziert hat und wie sehr er offenbar von der Komplexität seiner Gedanken verwirrt ist, dass aus der Aussage „Ich würde mein Geheimnis wahren wollen“ wird: „Wäre ich nicht selbst wie einer, der sein Geheimnis wahren will?“
Ein Ich-Erzähler, der über das eigene Innenleben aus externer Perspektive schreibt und dadurch einen Effekt der Verfremdung erzeugt, tritt auch in einem Gedicht von Bertolt Brecht auf.
Es stammt aus dem Jahre 1943, entstand demnach ungefähr zwanzig Jahre nach Kafkas Parabel und trägt den Titel „Die Rückkehr“.
Schon in der Ausgangssituation sind Parallelen zu „Heimkehr“ zu vermerken, da die Protagonisten beider Werke in eine Heimat zurückkehren, die aufgrund der Umstände nicht positiv wahrgenommen wird.
Ist es bei Kafka die emotionale Distanz, sucht das lyrische Ich in „Die Rückkehr“ seine Heimat in den Kriegstrümmern. Obwohl ein starker Gegensatz zwischen der Statik in Kafkas Parabel und des Wortfeldes der kriegerischen Zerstörung bei Brecht (z.B. V.2: „Bomberschwärme“, V.11: „Feuersbrünste“) herrscht, werden thematisch ähnliche rhetorische Fragen gestellt, beispielsweise wie wohl der Empfang aussehen werde (vgl. „Die Rückkehr“, V.9: „Wie empfängt sie mich wohl?“; „Heimkehr“, Z.5f: „Wer wird mich empfangen?“).
Der Unterschied ist allerdings, dass das lyrische Ich in „Die Rückkehr“ – im Gegensatz zu Kafkas Parabel – den Begriff des Zuhauses weiter fasst, schließlich liegt der Schwerpunkt für es darauf, in die Heimatstadt zurückzukehren, welche es, in Anlehnung an das Vaterland, „Vaterstadt“ nennt (vgl. V.1, 9).
Beide Strophen des Gedichtes beginnen mit „Die Vaterstadt“, woran eine Frage anschließt, gefolgt von einer Beschreibung.
Auch Kafka setzt in seiner Parabel gezielt repetitio ein, um einer ästhetischen Wirkung vorzubeugen und die negative Grundstimmung aufrechtzuerhalten. Angesichts des vermehrten Einsatzes von Parenthesen im Verlauf des Textes stellt Kafka durch repetitive Wortwahl (vgl. Z.11, 13) und eintönige Satzanfänge (vgl. Z.11: „Und…“, Z.12: „Und…“) wieder ein Gleichgewicht her.
Auch Brechts Gedicht zeichnet sich durch sprachliche Kargheit in Form von völliger Abwesenheit von Rhythmik und Reimschemata aus. Durch die Enjambements (vgl. V.5, 10), die jeweils im zweiten Vers einer Strophe vorkommen, wirkt „Die Rückkehr“ mehr episch als lyrisch und ähnelt damit in einem weiteren Punkt dem prosaischen Werk von Franz Kafka.
Nicht zuletzt lässt sich in beiden Werken ein besonderer Bezug zum Vater feststellen, der sich zum einen in Brechts Ausdruck „Vaterstadt“ manifestiert und zum anderen darin, dass die Mutter weder in „Heimkehr“ noch in „Die Rückkehr“ Erwähnung findet. So bezeichnet der Ich-Erzähler in Kafkas Parabel sein Zuhause als „[m]eines Vaters Haus“ (Z.8) und beschreibt auch sich selbst als „des Vaters, des alten Landwirts Sohn“ (Z.10f) – eine ungewöhnliche Ausdrucksform, um ein Verwandtschaftsverhältnis zu beschreiben, die allerdings Rückschlüsse auf Kafkas Verhältnis zu seinem Vater erlaubt.
Im Zuge seiner Beschreibung macht Kafka darüber hinaus vom Konjunktiv 1 Gebrauch, um zu demonstrieren, dass er vielmehr indirekt wiedergibt, wie andere ihn sehen, wodurch die Distanz nochmals unterstrichen wird (vgl. Z.10f: „Und sei ich auch des Vaters, des alten [s.o.]“).
Trotz eines lyrischen Ichs anstelle eines Sprechers wählt auch Brecht die Bezeichnung „Sohn“ in Bezug auf sein lyrisches Ich, zumindest im letzten Vers seines Gedichts (vgl. V. 12). Dadurch wird das Gefühl des Fremdseins verdeutlicht, das auch Kafkas Parabel prägt – wie auch die Ambivalenz zwischen dem klassisch positive Assoziationen hervorrufenden Titel und der konträren Aussage und Endsituation. Diese besteht bei beiden Werken darin, dass die Protagonisten nicht ankommen, obgleich Kafkas das Gegenteil vorgibt (Z. 4: „Ich bin angekommen“), jedoch wohl kaum in Bezug auf seine emotionale Nähe zur Heimat.
Es scheint eher, als sei der Ich-Erzähler an dem Punkt angekommen, an dem er sich nur noch anhand seiner Fragen definiert und sich etwa so weltfremd vorkommt wie wohl der Autor selbst.
Tatsächlich ist auch bei Bertolt Brecht ein autobiographischer Bezug zum Werk vorhanden, da er „Die Rückkehr“ schrieb, als die Zerstörung seiner Heimatstadt Nürnberg schon abzusehen war. Dennoch sticht hervor, dass sich beide Autoren, womöglich aufgrund des persönlichen Bezuges, einer ausgesprochen nüchternen Sprache bedienen, die wiederum typisch für das Moderne Erzählen ist, das durch Brecht und Kafka maßgeblich geprägt wurde.
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