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Expressionismus - 4.Version - Referat
Expressionismus
Der Expressionismus war eine Stilepoche Ende des 19Jahrhunderts bis Anfang des 20Jahrhunderts. Allerdings ist er nur schwer von anderen Stilrichtungen zu trennen, da sich noch nie so viele verschiedene Stilrichtungen überlagert haben wie zwischen 1890 und 1920. Der Expressionismus ist schwer von anderen Stilepochen zu trennen da die Epochen immer nur unscharf getrennt sind, so werden z. B. sowohl Alfred Lichtenstein als auch Franz Werfel eindeutig als Vertreter des Expressionismus angesehen, obwohl sie als Dichter praktisch keine Gemeinsamkeiten haben. Georg Trakl dagegen gehört für die einen eher zum Symbolismus, für andere ist er einer der typischsten Vertreter des Expressionismus. Es gibt aber auch Dichter aus dieser Zeit die sich keiner Stilepoche zuordnen lassen wie Franz Kafka. Alfred Kubin wiederum war Mitglied des Blauen Reiters, doch seine Dichtung enthält zahlreiche surrealistische Elemente, obwohl sie zeitlich früher liegt und so eher der Décadence zuzurechnen wäre.
Die Epoche des Expressionismus hat vieles mit der Romantik gemein – so erstaunlich das klingen mag –, unter anderem eben auch die Weigerung, sich als Epoche zu präsentieren.
Bei aller Nützlichkeit einer griffigen Terminologie: Eine zwanghafte Zuordnung einzelner Dichter zu einer Epoche und damit eine Schablonisierung nützt meist nicht viel und versperrt oft nur den Blick auf wichtige Nuancen der individuellen Schreibformen.
Der Begriff „Expressionismus" tauchte zum ersten Mal im Jahr 1911 auf, und zwar sollte er zunächst der Beschreibung von Bildern Picassos, Braques und anderer fortschrittlicher Maler dienen. Schon bald wurde er jedoch auf die Literatur übertragen die sich zum Ziel gesetzt hatte, das Erlebnis einer als hinfällig erfahrenen Außenwelt künstlerisch umzusetzen und sie in der Hoffnung auf Erneuerung mitzugestalten. Die Vertreter dieser neuen Literatur waren sich darin einig, dass das Alte zugrunde gehen müsse, damit das Neue, Bessere entstehen könne.
Die ersten Werke einer neuen Zeit sind unendlich schwer zu definieren. Wer kann klar sehen, auf was sie abzielen und was kommen wird? Die Tatsache allein, dass sie existieren und heute an vielen voneinander unabhängigen Punkten entstehen und von innerlicher Wahrheit sind, lässt es uns zur Gewissheit werden, dass sie die ersten Zeichen der kommenden neuen Epoche sind, Feuerzeichen von Wegsuchenden.
In diesen Zeilen beschreibt Franz Marc die Problematik der man sich stellt wenn man versucht den Expressionismus zu beschreiben und gibt doch gleichzeitig einen wertvollen Hinweis auf wichtige Bauelemente der Epoche, indem er von „innerlicher Wahrheit" spricht und die frühen Werke der Avantgarde die „ersten Zeichen der kommenden neuen Epoche" nennt. In seiner großartigen Metapher „Feuerzeichen von Wegsuchenden" beschreibt er die Situation seiner Zeit, wie sie sich einem jungen Künstler darstellte: Die Kunst gibt Licht im Dunkeln, an dem sich die „Wegsuchenden" orientieren können. Gleichzeitig liegt in dem Begriff des „Feuerzeichens" aber durchaus auch ein zerstörerisches Potential verborgen, das bildende Kunst, Musik und Literatur des Expressionismus auszeichnete.
Wenn es denn überhaupt Gemeinsamkeiten zwischen den so verschiedenen Vertretern der Epoche gibt, so ist es dieses zerstörerische Potential, ist es der Aufstand junger Dichter gegen das selbstzufriedene Bürgertum der wilhelminischen Zeit – freilich ohne dass die Expressionisten, die fast alle aus gutbürgerlichen Häusern stammten, ihre gesellschaftliche Grundlage verlassen hätten. Ihr Aufstand war eher künstlerischer als politischer Natur, was so weit ging, dass sie mit Begeisterung für ihr Vaterland, dessen Gesellschaft sie scharf kritisierten, in den Krieg zogen. Eine junge Generation begehrte auf:
Die folgenden Zeilen wurden bereits 1906 in Holz geschnitten und waren das Programm einer jungen Künstlergemeinschaft mit dem Namen Die Brücke:
Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden wie der Genießenden rufen wir alle Jugend zusammen. Und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen, älteren Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.
Wir ergänzen unsere Liste möglicher Merkmale der Epoche um weitere zwei Feststellungen: Die Vertreter der Epoche gehörten der jungen Generation an. Und: Es drängte sie zum Schaffen, zur unmittelbaren Wiedergabe innerer Vorgänge. Es war keine Epoche schweigender, träumerischer Innerlichkeit, sondern eine Epoche des Ausdrucks, der Expression eben, die sich befreien wollte von den Konventionen der Schicht, der sie entstammten. Margarete Susman fragt noch im Jahr 1918:
Wollen wir Befreiung? Wollen wir Erneuerung? Wollen wir, dass es anders werde? Wollen wir heraus aus diesem Strudel, aus diesem grauenvollen grauen Mischmasch von niederstem Machtwillen und verworrenem, verratenem Idealismus? Wollen wir heraus aus dieser schwersten, wehesten Verfinsterung des Geistes, die je auf Erden war? Dies ist die einzige Frage an unser Leben. […] Entscheidung für oder wider – dies ist heute die einzige Frage an unser Menschentum. Und diese Entscheidung, dieser Aufschrei der sich entscheidenden Seele ist Expressionismus.
Simultaneität
zusammen, zugleich, simultan – damit ist eines der ganz zentralen formalen wie inhaltlichen Bauprinzipien expressionistischer Kunst umrissen. Der Expressionismus ist gekennzeichnet durch die Gleichzeitigkeit aller rezipierten und produzierten mentalen Prozesse.
Der Futurismus machte auch in Deutschland Furore beeinflusste die Avantgarde in Kunst und Literatur sehr stark und findet auch Eingang in die Lyrik des Expressionismus, z. B. in Form des sogenannten Zeilenstils, der simultan verlaufende Vorgänge sprachlich zu fassen versucht. Dies wird an dem wohl bekanntesten Gedicht der Epoche, deutlich. Man kann wohl mit Fug und Recht sagen, dass dieses Gedicht Epoche machte, ja geradezu die Epoche machte.
Für Johannes R. Becher, damals selbst einer der bekanntesten Expressionisten, war Hoddis' Gedicht die „Marseillaise der expressionistischen Rebellion", was nicht nur durch den Inhalt des Gedichts – einer Art Endzeitstimmung – zum Ausdruck kommt, sondern zu wesentlichen Teilen auch durch seine Form.
Jakob van Hoddis
Weltende
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei,
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten - liest man - steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Soviel zu den Grundlagen der Epoche. Die Gedichte hängen alle irgendwie zusammen, nicht sternförmig von einer Theorie ausgehend, kein rundes Häkelwerk, um bei einem Bild zu bleiben, sondern eben eine achtlos hingeworfene Kette, bei der in der Mitte viele Glieder übereinanderliegen, sich berühren, scheinbar direkt zusammenhängen, bei der andere aber auch weiter entfernt liegen, fast einzeln zu sein scheinen und nur über wenige Zwischenglieder mit dem Haufen verbunden sind.
Es gibt keine gemeinsame Schnittmenge aller Gedichte oder gar Texte des Expressionismus. Es gibt aber einige Gemeinsamkeiten größerer und kleinerer Gruppen von Texten, und zwar von den Absichten der Dichter her gesehen als auch sprachlich-stilistischer Art.
Gemeinsamkeiten gibt es zweitens hinsichtlich der Themenschwerpunkte der Texte – die natürlich eng mit obigem verbunden sind. Deshalb möchte ich vier der wichtigsten – bzw. in meinen Augen die vier wichtigsten – inhaltlichen Themenkreise der Epoche vorstellen.
Es sind dies die Bereiche Stadt, Vergänglichkeit, Krieg und Neuer Mensch. Ich beginne mit dem Bereich der „Stadt":
Da es viel zu lang wäre Gründe für die gewaltige Landflucht Ende 19. Jahrhunderts vorzubringen, erzähle ich nur dass die Bevölkerung der Städte z.B. Berlin innerhalb von 50 Jahren von 420.000 Bewohnern auf über 2 Millionen Einwohner anstieg. Dies führte dazu dass sich der Unterschied zwischen arm und reich immer mehr vergrößerte.
Klar, dass gerade diese Janusköpfigkeit der Stadt die jungen Dichter des Expressionismus faszinierte, die oft nächtelang durch Berlin zogen und aus ihren Erlebnissen jeglicher Art Gedichte machten. Der Moloch Stadt mit seinen neuen Formen der Unterhaltung, wie z. B. dem Kinematografen, übte eine große Faszination auf sie aus – von Kafka z. B. weiß man, dass er abgestoßen und fasziniert zugleich von diesem neuen Medium war.
Stadt
Es ist also durchaus nicht so, dass die jungen Expressionisten abgekehrt vom Treiben der Welt Gedichte über Irrsinn, Tod und Vergänglichkeit geschrieben hätten. Eher das Gegenteil ist richtig. Viele von ihnen lebten in Berlin, damals einer der fortschrittlichsten Großstädte der Welt. Sie bewegten sich in Varietés, Literaturcafés, in den neu entstandenen Kinos, in Kneipen, Bars und Bordellen. Kurz: Sie waren Bohemiens, die sich nichts entgehen ließen und denen auch nichts erspart und verborgen blieb von dem, was eine Weltstadt zu bieten hat. Ihre ambivalente Einstellung zur Stadt kommt folgerichtig auch in zahlreichen Gedichten (und Bildern!) der Epoche zum Ausdruck.
Wir können in das Thema „Stadt" z. B. einsteigen mit einem Bildvergleich von Boccioni, Steinhardt und Grosz und daran die Vielschichtigkeit der Empfindungen zeigen, die die Expressionisten der Stadt – meist Berlin oder Wien – entgegenbrachten.
Umberto Boccionis Gemälde „Der Lärm der Straße" (1911) ist ein typisches Zeugnis des Futurismus. Der Maler versucht,die ganzen gleichzeitig auf die Person am Fenster einstürzenden Eindrücke der Stadt und - so der Titel - selbst die akustischen Reize im Bild festzuhalten. Es dominieren freundliche Farben, die Stadt wird positiv gesehen. Ganz in der Tradition der Rückenbilder setzt der Maler den Betrachter "ins Bild" und macht ihn gewissermaßen nicht nur zum Subjekt, sondern auch zum dargestellten Objekt, auf das all die simultanen Sinneseindrücke synästhetisch einstürzen.
Ganz anders Steinhardts Gemälde „Die Stadt" von 1913. Es zeigt eine nächtliche Straßenszene voller Dynamik, allerdings nur durch eine Straßenlampe spärlich beleuchtet. Die Menschen auf der Straße sind weitgehend gesichtslos und selbst die als Einzelwesen wahllos herausgegriffenen Personen in ihren dunklen Häusern sehen teilweise aus wie Gerippe oder sind auch nur schemenhaft zu erkennen. Individualität ist nicht gegeben. Die Szenerie ist von einem gespenstischen Dunkel und die Dynamik der Stadt wirkt bedrohlich.
Alfred Wolfenstein
Städter
Nah wie Löcher eines Siebes stehn
Fenster beieinander, drängend fassen
Häuser sich so dicht an, dass die Straßen
Grau geschwollen wie Gewürgte sehn.
Ineinander dicht hineingehakt
Sitzen in den Trams die zwei Fassaden
Leute, wo die Blicke eng ausladen
Und Begierde ineinander ragt.
Unsre Wände sind so dünn wie Haut,
Dass ein jeder teilnimmt, wenn ich weine,
Flüstern dringt hinüber wie Gegröle:
Und wie stumm in abgeschloßner Höhle
Unberührt und ungeschaut
Steht doch jeder fern und fühlt: alleine.
Paul Boldt
Auf der Terrasse des Café Josty
Der Potsdamer Platz in ewigem Gebrüll
Vergletschert alle hallenden Lawinen
Der Straßentakte: Trams auf Eisenschienen
Automobile und den Menschenmüll.
Die Menschen rinnen über den Asphalt,
Ameisenemsig, wie Eidechsen flink.
Stirne und Hände, von Gedanken blink,
schwimmen wie Sonnenlicht durch dunklen Wald.
Nachtregen hüllt den Platz in eine Höhle,
Wo Fledermäuse, weiß, mit Flügeln schlagen
Und lila Quallen liegen – bunte Öle;
Die mehren sich, zerschnitten von den Wagen.–
Aufspritzt Berlin, des Tages glitzernd Nest,
Vom Rauch der Nacht wie Eiter einer Pest.
Georg Heym
Berlin III
Schornsteine stehn in großem Zwischenraum
Im Wintertag, und tragen seine Last,
Des schwarzen Himmels dunkelnden Palast.
Wie goldne Stufe brennt sein niedrer Saum.
Fern zwischen kahlen Bäumen, manchem Haus,
Zäunen und Schuppen, wo die Weltstadt ebbt,
Und auf vereisten Schienen mühsam schleppt
Ein langer Güterzug sich schwer hinaus.
Ein Armenkirchhof ragt, schwarz, Stein an Stein,
Die Toten schaun den roten Untergang
Aus ihrem Loch. Er schmeckt wie starker Wein.
Sie sitzen strickend an der Wand entlang,
Mützen aus Ruß dem nackten Schläfenbein,
Zur Marseillaise, dem alten Sturmgesang.
Dies beginnt schon bei den Gedicht-Titeln. Bei Boldt sitzt der Betrachter als Cafébesucher bis in die späten Abendstunden („Nachtregen", „Nacht") auf einer Terrasse inmitten des belebten Potsdamer Platzes, betrachtet das Menschengewühl um sich her und gibt sich Assoziationen hin. Der Betrachter selbst wird nicht erwähnt.
Wolfenstein wählt in seinem Gedicht eine sehr ähnliche Situation: Das lyrische Ich sitzt in einer Straßenbahn und denkt über die körperliche Nähe und seelische Fremdheit der Menschen in der Masse nach. Das lyrische Ich tritt selbst in Erscheinung, der Leser folgt gewissermaßen seinen Blicken.
In Heyms Berlin-Gedicht wird aus olympischer Perspektive zunächst von weit oberhalb der Stadt aus die Fahrt eines Güterzugs verfolgt und dabei werden wie mit einem Zoom-Objektiv immer mehr Details herangeholt, bis das Gedicht mit einem visionären Bild Stadt und Apokalypse ineinanderfließen lässt. Der „rote Untergang" wird von den Toten des Armenkirchhofs wie betäubender Wein genossen, die Marseillaise erklingt zum Angriff. Apokalypse und Gesellschaftskritik gehen hier Hand in Hand.
Und es geht natürlich auch um inhaltliche Fragen: Wie wird die Stadt jeweils gesehen? Warum so und nicht anders? Lassen sich die Gedichte jeweils einem der Gemälde zuordnen?
Das sich anschließende Unterrichtsgespräch braucht im Grunde nur noch die bereits herausgearbeiteten Aspekte zusammenzutragen und Fehlendes zu ergänzen. Daran anschließen kann sich eine Aufgabe zur literarischen Bewertung, jedoch nicht als Frage: „Welches Gedicht gefällt euch am besten?", sondern eher indirekt: Herwarth Walden, der Herausgeber der damals berühmten Literaturzeitschrift „Der Sturm", erhält alle drei Gedichte gleichzeitig zum Abdruck, hat jedoch nur noch Platz für eines. Um sicherzugehen, dass er das geeignetste ausgewählt hat, schickt er die drei Texte und eine kurze Notiz, in der er seine Wahl begründet, mittels Eilboten an seine Frau, die Lyrikerin Else Lasker-Schüler. Was wird er wohl schreiben?
Vergänglichkeit
Wenn eine junge Dichtergeneration ihre Gesellschaft als hinfällig, morbide und als vom Untergang gezeichnet ansieht, kann es nicht verwundern, dass eines der Hauptmotive der Literatur die Vergänglichkeit und der Zerfall nicht nur der Welt um das eigene Ich herum, sondern des Ichs gleichermaßen ist. Dieses Motiv der Vergänglichkeit hat indessen keine religiöse Komponente – wie etwa das Vanitas-Motiv des Barock –, sondern zeigt sich in vielfältiger Form und in den verschiedensten Variationen. Man kann geradezu sagen, dass jeder Vertreter der Epoche seine ganz eigene Darstellungsweise der Vergänglichkeit, des Untergangs hatte. Ich wähle bewusst dieser eher vagen Begriff, man könnte z. B. auch „Krankheit" oder „Tod" sagen, aber das Motiv der „Vergänglichkeit" ist umfassender. Ich zähle darunter auch etwa die Texte zum mentalen Zerfall der Menschen, die ganzen Gedichte beispielsweise über Irre, die Texte zum körperlichen Zerfall aus Benns Morgue oder die ganze Ophelia-Thematik.
Ein Beispiel unter vielen möchte ich exemplarisch herausgreifen Benns Gedicht Schöne Jugend.
Der Mund des Mädchens, das lange
tot im Schilf gelegen hatte,
war zerfetzt.
Die Obduktion ergab
dass sich in ihrem Körper
Ratten
eingenistet
hatten.
Sie lebten von den Innereien und
kaltem Blut.
Das Skalpell des Arztes
machte
die kleinen Schnauzen quietschen! Der Mund eines Mädchens, das lange im Schilf gelegen hatte,
sah so angeknabbert aus.
Als man die Brust aufbrach, war die Speiseröhre so löcherig.
Schließlich in einer Laube unter dem Zwerchfell
fand man ein Nest von jungen Ratten.
Ein kleines Schwesterchen lag tot.
Die andern lebten von Leber und Niere,
tranken das kalte Blut und hatten
hier eine schöne Jugend verlebt.
Und schön und schnell kam auch ihr Tod:
Man warf sie allesamt ins Wasser.
Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschten!
Das Gespräch über den Titel zeigt, dass Geborgenheit und Heimat, kurz: eine „schöne Jugend" nur die Ratten erlebt haben, von dem Mädchen ist überhaupt nicht mehr die Rede. Benn stellt damit alle Wertmaßstäbe auf den Kopf: Der Mensch ist nurmehr Körper, nichts weiter.
Krieg
Die düsteren Visionen zahlreicher expressionistischer Gedichte aus den Jahren vor dem ersten Weltkrieg erwecken den Eindruck, als hätten die Expressionisten den Krieg ausnahmslos gefürchtet und verabscheut. Dies ist in dieser Form nicht richtig und gilt nur für einige von ihnen. Andere sahen ihn durchaus als notwendig an, um die Zeit nachhaltig zu reinigen und wünschten ihn sich geradezu herbei. Hierin zeigt sich wiederum die Nähe des Expressionismus zum „Futurismus", Ihr Wortführer, Filippo Tommaso Marinetti, bekennt sich ganz offen in einem Manifest von 1909 zu Krieg und Gewalt:
Wir wollen den Krieg preisen, – diese einzige Hygiene der Welt – den Militarismus, den Patriotismus, die schönen Gedanken, die töten […].
Und Georg Heym schreibt im Juli 1910 in einer Tagebuchnotiz:
Geschähe doch einmal etwas. Würden einmal wieder Barrikaden gebaut. Ich wäre der erste, der sich darauf stellte, ich wollte noch mit der Kugel im Herzen den Rausch der Begeisterung spüren. Oder sei es auch nur, dass man einen Krieg begänne, er kann ungerecht sein. Dieser Frieden ist so ölig und schmierig wie eine Leimpolitur auf alten Möbeln.
Der neue Mensch
Der expressionistische Dramatiker Ernst Toller, der sich wie zahlreiche andere zunächst begeistert in den Krieg gestürzt hatte, schreibt in seiner Autobiografie von einem Erlebnis, das seine Wandlung herbeiführte:
Ich stehe im Graben, mit dem Pickel schürfe ich die Erde. Die stählerne Spitze bleibt hängen, ich zerre und ziehe sie mit einem Ruck heraus. An ihr hängt ein schleimiger Knoten, und wie ich mich beuge, sehe ich, es ist menschliches Gedärm. Ein toter Mensch ist hier begraben. […] Und plötzlich, als teile sich die Finsternis vom Licht, das Wort vom Sinn, erfasse ich die einfache Wahrheit […]. Alle diese Toten sind Menschen, alle diese Toten haben geatmet wie ich, alle diese Toten hatten einen Vater, eine Mutter, Frauen, die sie liebten. […] In dieser Stunde weiß ich, dass ich blind war, weil ich mich geblendet hatte, in dieser Stunde weiß ich endlich, dass alle diese Toten, Franzosen und Deutsche, Brüder waren, und dass ich ihr Bruder bin.
Als letztes Element des Expressionismus möchte ich das Bild vom Neuen Menschen ansprechen. Die Expressionisten glaubten daran einen neuen Menschen zu erschaffen, indem sie das alte Gesellschaftsdenken abschaffen und eine neue gemeinschaftlichere Gesellschaft zu gründen. Es ging den Dichtern der Epoche ja wie am Anfang schon erwähnt, darum, die morbide Gesellschaft zu zerstören, um einer neuen den Weg zu bereiten. Dieses Motiv findet sich durchgängig in der Literatur, aber auch in der Kunst der Epoche, aber gerade nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Ruf nach dem Neuen Menschen besonders laut. Namen wie Franz Werfel oder Ernst Stadler stehen repräsentativ für diese Entwicklung.
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