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Franz Kafka - Die Verwandlung - 2.Version - Referat
Entfremdung vom eigenen Ego, die erfolglose Suche nach einer eigenen Identität, übersteigerte Schuldgefühle, familiäre Konflikte und eine verzerrte Selbstwahrnehmung: Gregor Samsa, Protagonist von Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“, durchlebt eine Lebenskrise, die dazu führt, dass „er sich eines Morgens […] in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt“ (Hamburger Leseheft, Z. 3f.) vorfindet. Kafkas Werk schildert in drei Kapiteln die Konsequenzen seiner Verwandlung für ihn selbst und seine Familie. Der vorliegende Textauszug, der dem ersten Kapitel der Erzählung entnommen wurde, ist als richtungweisend für den weiteren Verlauf der Handlung einzustufen und soll aus diesem Grund im Folgenden genauer untersucht werden.
Besonders auffällig ist hierbei die Reaktion der Umwelt auf Gregors neue Gestalt: Seine eigene Mutter „flüchtet[e]“ (Z. 6) bei seinem Anblick, der Prokurist, der in Gregors Leben bisher eine autoritäre Institution gewesen war, „machte einen Sprung über mehrere Stufen und verschwand“ (Z. 11f.) und sein Vater beginnt, ihm zu drohen und ihn einzuschüchtern. Dieses Verhalten beziehungsweise dieser erste Schock über den Zustand des Sohns und Kollegen sind bereits stark von der Feindseligkeit und Abscheu geprägt, die Gregor im weiteren Handlungsverlauf allmählich seiner Menschlichkeit beraubt.
Dies hat den Beginn von Gregors im Laufe der Erzählung immer weiter voranschreitenden, nur durch kurze „Fluchtversuche“ unterbrochenen Regression zur Folge: Anstatt aktiv Widerstand gegen das aggressive Verhalten zu leisten, das ihm entgegengebracht wird, lässt er sich schnell in die Rolle des nutzlosen und verachtenswerten Ungeziefers drängen, das „so rasch wie möglich in sein Zimmer müsse“ (Z. 56 f.). So verdeutlicht der Vater schnell seine dominante Position, indem er „unerbittlich“ (Z. 30) gegen Gregor vorgeht beziehungsweise „kein Bitten versteht“ (Vgl. Z. 23). Der Protagonist selbst reagiert „mit Entsetzen“ (Z. 39), demonstriert trotz der für ihn gefährlichen und bedrohlichen Situation „seinen guten Willen“ (Z. 44) und ist schließlich sogar verhältnismäßig „glücklich“ (Z. 51), als er die rettende Tür und somit seine Rückzugsmöglichkeit vor der ihm entgegenschlagenden Welle des Hasses erreicht.
Da Gregor zu Beginn der Handlung noch versucht, mit seiner Familie verbal Kontakt aufzunehmen, indem er beispielsweise seine Mutter direkt anspricht (Vgl. Z. 1), wird deutlich, dass ihm die Dimensionen seiner neuen animalischen Identität zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst sind und er sich dennoch bereits intuitiv degradieren lässt.
Am Ende des Auszugs wird Gregor mit „eine[m] jetzt wahrhaftig erlösenden starken Stoß“ (Z.71) in sein Zimmer befördert, in welchem er im weiteren Handlungsverlauf den Rest seines tristen Daseins bis zum Ende fristet.
Somit läutet die vorliegende Szene den Beginn von Gregors endgültiger Isolation, seiner Selbstaufgabe und der Entfremdung von seiner Familie und seinem bisherigen Leben ein und legt den Grundstein für den Verlauf des Geschehens. Dabei fungiert die Tür zu Gregors Zimmer gewissermaßen als „Tor“ zu seiner Vereinsamung, was die abschließenden Worte „[…], dann war es endlich still“ (Z.73) unterstreichen.
Neben ihrer Bedeutsamkeit für die gesamte Erzählung illustriert die Textstelle jedoch auch besonders deutlich einen zentralen Aspekt der „Verwandlung“: Das Verhältnis zwischen Gregor und seinem Vater.
Schnell wird deutlich, dass Herr Samsa die völlige Komplementärposition zum passiven Protagonisten annimmt und im Gegensatz zu seinem Sohn auffallend aggressiv in Erscheinung tritt. Anstatt sich zuerst einen Überblick über die bizarre Situation zu verschaffen, bewaffnet er sich nach der Flucht des Prokuristen sogleich mit dessen Stock und versucht, Gregor „unter Füßestampfen“ (Z.20 f.) „in sein Zimmer zurückzutreiben“ (Z.22). Neben diesen offensichtlichen Einschüchterungsversuchen ist es außerdem auffällig, dass der Vater „eine große Zeitung“ (Z. 20) zu seiner „Verteidigung“ nutzt: Dies weist eindeutig darauf hin, dass Herr Samsa Gregor zu diesem Zeitpunkt bereits derart verachtet und geringschätzt, dass er jeden Moment dazu bereit wäre, seinen Sohn wie einen tatsächlichen Mistkäfer zu erschlagen.
In seiner Rage und Kompromisslosigkeit gebärdet sich Herr Samsa „wie ein Wilder“ (Z. 31), wobei deutlich wird, wie unbegründet das aggressive Verhalten des Vaters gegenüber Gregor ist: Während sich das „Untier“ Gregor „demütig“ (Z. 24) und „ängstlich[…]“ (Z. 41) verhält, lässt sich der Vater nicht aus seiner Rolle als dominantes Oberhaupt vertreiben und zeigt in seiner Bedrohlichkeit animalischere Züge als sein verwandelter Sohn.
Weiterhin fällt auf, dass Herr Samsa Gregor während der gesamten Szenerie „durch Schwenken des Stockes“ (Z. 21) zurückhält und am Ende seine Tür „mit dem Stock“ (Z. 73) zuschlägt. Dieses Verhalten demonstriert, dass der Vater trotz seiner offensichtlich erhabenen Position Distanz wahren und Gregor um keinen Preis zu nahe kommen möchte, was erneut darauf schließen lässt, dass er ihn nicht mehr als seinen Sohn betrachtet beziehungsweise keinerlei Respekt für ihn aufbringen kann.
Jedoch mangelt es Herrn Samsa nicht nur an Wertschätzung seines Sohnes, sondern auch an Mitgefühl und Güte: Anstatt Gregor in seiner hilflosen, ihn überfordernden Situation zu unterstützen, setzt er ihn durch „unerträgliche[s] Zischen“ (Z. 47) und die Androhung des
„tödliche[n] Schlag[s] auf den Rücken oder auf den Kopf“ (Z. 37 f.) zusätzlich unter einen großen psychischen Druck, aufgrund dessen der Protagonist „fast den Kopf verliert“ (Vgl. Z. 48). Die einzige Unterstützung erfährt Gregor in Hinsicht auf seinen Rückzug, den der Vater vorantreibt, indem er „hie und da die Drehbewegung von der Ferne mit der Spitze seines Stockes […]“ (Z. 45 f.) dirigiert. Somit lässt sich feststellen, dass die Vater-Sohn-Beziehung der beiden Handelnden bereits daran krankt, dass Herr Samsa nur einen Aspekt seiner Vaterpflicht wahrnimmt: Während er von seiner Autorität ausgiebig Gebrauch macht, lässt er außer Betracht, dass er seinem Sohn auch Achtung und Hilfsbereitschaft entgegenbringen muss.
Die offensichtliche Rücksichtslosigkeit des Vaters lässt weiterhin auf seine Gleichgültigkeit gegenüber Gregor schließen: So fällt es ihm „natürlich in seiner gegenwärtigen Verfassung auch nicht entfernt ein, etwa den anderen Türflügel zu öffnen, um für Gregor einen genügenden Durchgang zu schaffen“ (Z. 52 ff.). Dies zeigt deutlich auf, dass Herr Samsa um das Wohl seines Sohnes nicht besonders besorgt ist, sondern nur darauf abzielt, das „Ärgernis“, das die Familie zwar jahrelang ernährte, nun aber nutzlos scheint, so schnell wie möglich loszuwerden.
Betrachtet man das Verhalten des Vaters während der gesamten Szene, wird deutlich, dass sich die Aggressivität des Vaters von Drohgebärden zu Beginn über beunruhigendes „Zischen“ (Z. 49) bis hin zu körperlicher Gewalt als finale Grausamkeit steigert.
Gregor stellt gegen Ende fest, dass es nun „wirklich keinen Spaß mehr“ (Z. 63) gäbe, was vor dem Hintergrund der von Anfang an bedrohlichen Situation geradezu paradox wirkt, und befindet, dass Herrn Samsas Stimme „gar nicht mehr wie die Stimme bloß eines einzigen Vaters“ (Z.62 f.) klingt. An dieser Stelle tritt ein weiteres zentrales Problem in der Beziehung zwischen Vater und Sohn deutlich in Erscheinung: Für Gregor stellt sein Vater längst keine elterliche Autorität mehr, sondern das Sinnbild der Dominanz und Einschüchterung dar. Aufgrund seines geringen Selbstwertgefühls und seiner Unfähigkeit, selbst aktiv seine Interessen und Meinungen zu vertreten, überhöht er den Status seines Vaters und betrachtet ihn als allmächtige, alles beherrschende und unantastbare Institution, gegen die es sich nicht aufzulehnen gilt.
Somit tritt Herr Samsa in dieser Szene als Synonym für Verderben, Tod und den Niedergang Gregors auf und demonstriert die mangelnde Liebe und Fürsorge für seinen Sohn, der in seiner schweren Krise nichts mehr bräuchte als eine Vaterfigur, die ihm Kraft gibt und nicht raubt.
Abschließend lässt sich sagen, dass der vorliegende Textauszug aus „Die Verwandlung“ die Hauptschwerpunkte der Erzählung aufzeigt und das Ende bereits andeutet: Die beschriebene Szenerie raubt dem Leser beinahe jegliche Hoffnung darauf, dass Gregor je in der Lage sein wird, die Fesseln der familiären Unterdrückung abzustreifen, mit gestärkter Persönlichkeit sein eigenes Leben zu beginnen und somit die Verwandlung rückgängig machen zu können, was die Parallele der Erzählung zum Leben ihres Autors überdeutlich erscheinen lässt.
Dieses Referat wurde eingesandt vom User: Susann
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