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Gedichtinterpretation - 2.Version - Referat
Gedichtinterpretation von Paul Fleming: Wie er wollt geküsst werden
Küssen. Zweifelsohne Bestandteil einer jeden Liebesbeziehung. Doch wie soll man es tun? Eine Frage, die in vielen Köpfen umher schwirrt, also demnach eine Frage, welche sich durch die Literaturepochen bis in die Gegenwärtige zieht, da sich Menschen seit jeher Gedanken machen, wie man etwas am besten tun sollte.
Somit hat Paul Fleming's Gedicht „Wie er wollte geküsst werden“ trotz seines Alters Gültigkeitsanspruch, da es einer Anleitung zum perfekten Küssen gleicht. Es spielt sich in der Gedankenwelt des männlichen lyrischen Ich ab und erlangt Bildlichkeit durch kaum vorhandene Verben, welchen jedoch durch viele Adverben und Adjektive kompensiert werden. Es erreicht somit trotz des „Lexikon-Charakters“ eine Appellfunktion, welche dem Leser das Küssen als solches nicht vorzuschreiben, aber näher bringen zu versucht.
In Strophe eins wird zunächst deutlich gemacht, dass der Weg zum Herzen über den Mund führt (V. 1f). Dem folgen drei Einschränkungen, wie man das Küssen nicht vollführen sollte (V. 3f).
In den Strophen zwei bis vier wird nun der perfekten Kuss durch Verbote und darauffolgende Erläuterungen beschrieben. Ein Beispiel hierfür wären die Verse elf und zwölf: „Nicht zu trocken, nicht zu feuchte, wie Adonis Venus reichte“, in denen Fleming die Bedeutung des Kusses als Herzensangelegenheit durch die Erwähnung der beiden mythologischen Gottheiten für die Liebe (Adonis und Venus) darstellt.
Die Strophe fünf bricht nun den Stil der vorangegangenen Strophen. Sie verbietet nun nicht nur noch, sondern rät einem zum richtigen Handeln, doch auch wieder teilweise eingeschränkt. Dass der Kuss „halb gebissen, halb gehaucht“ (V. 17) sein soll, verweist mit der Antithese auf einen partiellen Stilbruch, welcher in Vers 19 mit: „Nicht ohn Unterschied der Zeiten“ wieder aufgehoben wird, dennoch ab Vers 20 in absoluter Form fortgesetzt wird, was durch das nun fehlende „Nicht“ am Anfang eines jedes Paarreims deutlich wird.
Strophe sechs kann als Pointe verstanden werden, als überraschende Pointe, denn nun sagt das lyrische Ich: „Küsse nun ein jedermann, wie er weiß, will, soll und kann!“ (V. 21f). Ein Gegensatz zum belehrenden Hauptteil des Gedichts, anstatt einer abschließenden Zusammenfassung, gibt es zu lesen. Abschließend sagt er nämlich: „Ich nur und die Liebste wissen, wie wir uns recht sollen küssen.“
Doch wie ist dieser Stilbruch zu deuten? In der ersten Strophe die Bedeutung des Kusses betonend, darauf in Strophe 2-4 die Anleitung durch Verbote gebend, um danach in Strophe 5 einen Stilbruch anzukündigen, welcher sich durch das fehlende „Nicht“ äußert und schließlich in Strophe 6 komplett dem „Nicht“ nicht nur zu entsagen, sondern zu behaupten, es sei an einem jeden Paar, selbst herauszufinden, wie man sich küssen solle, erweckt es den Anschein, das Gedicht sei in seiner Rolle als Ratgeber nicht ernst zu nehmen. Des Weiteren lassen Wahl der Reime und Kadenzen der jeweiligen Quartette und die Abwesenheit eines lyrischen Ich in den Strophen 1-5 darauf schließen, dass der Dichter keinen oder nur wenig Bezug zu einem solchen Ratgeber gehabt haben muss. Woran das gelegen hat, vermag eine Interpretation nicht herauszufinden, dennoch kann man mit ihr Indizien für die obige Behauptung sammeln und somit auf diese schließen.
Somit lässt sich behaupten, dass der Aufbau des Gedichts in seinem Inhalt nur dem Zweck der Irreführung dient, um die Pointe überraschend und wirkungsvoll zu präsentieren. Keiner rechnet mit der Kehrtwende in der letzten Strophe und dies beabsichtigt Paul Fleming auch.
Ein Kuss. Für manche ein kompliziertes Unterfangen. Doch für genau diese stellt Fleming hiermit eine Anleitung bereit, welche es mit vielen Beispielen in den Strophen 2-4 – zu erwähnen seien hier nur die ersten Zeilen der drei Quartette: „Nicht zu wenig, nicht zu viel“, „Nicht zu nahe, nicht zu weit“ und „Nicht zu harte, nicht zu weich“ - versteht den perfekten Kuss als solchen bildhaft und mit mehr Verboten als Tipps im eigentlichen Sinn zu definieren. Nachdem in Strophe eins die Bedeutung des Kusses als „Weg zum Herzen“ (vgl. V.2 „da sinkt's auf des Herzen Grund“) aufzeigt, das Komplexe am Kuss selbst durch die vielen Beispiele, was man nicht tun sollte, aufzeigt, geht Fleming in Strophe 5 sogar noch einen Schritt auf den Leser zu, indem er nun auf die Verneinung verzichtet, welche doch eine gewisse Distanz zum Leser wahrt, und mit „halb gebissen, halb gehaucht, halb die Lippen eingetaucht“ einen Ratschlag gibt, welcher somit als Höhepunkt der Anleitung gesehen werden kann, ehe noch mit „mehr allein denn bei Leuten“ ein abschließender Tipp gegeben wird.
Doch nun würde man eine Zusammenfassung des lyrischen Ich erwarten, welche allerdings nicht kommt. Vielmehr wird man von der Pointe überrascht, welche da lautet: „Ich nur und die Liebste wissen, wie wir uns recht sollen küssen.“ (V. 23f).
Die Funktion der sechsten Strophe für das Gedicht könnte man als relativierenden Schlusssatz sehen, da in fünf vorangegangenen Strophen die Bedeutung und der Vorgang des Küssens detailreich beschrieben wird und somit eine hohe Wichtigkeit für das lyrische Ich suggeriert wird, welche sich mit der letzten Strophe als Fehlinterpretation herausstellt, da diese dem Leser nun individuelle Freiheiten lässt, da es an jedem Paar sei, sich zu küssen, wie es ihnen gefällt.
Dies führt zur Annahme, dass sämtliche Mittel im Gedicht dem Zweck dienen, keine Rückschlüsse auf die sechste Strophe ziehen zu können. Deshalb untersuche ich jetzt das Reimschema und behaupte ebenfalls, dass die Funktion hier dieselbe ist, wie beim Aufbau des Gedichts selbst. Mehr noch: Ich behaupte, dass sie der Bildhaftigkeit der Strophen eins bis fünf dienen und somit den Verdacht erhärten, dass Fleming die Pointe als Überraschung konzipiert hat.
Die Paarreime, welche sich durch das ganze Gedicht ziehen, verdeutlichen den Kuss noch deutlicher, denn: Wer küsst sich denn hauptsächlich? Ein Paar. Die sich alle 2 Verse wechselnden männlichen und weiblichen Kadenzen sind hier auch noch hervorzuheben, da das lyrische Ich männlich (Titel: „er“) und die Geliebte weiblich (V. 23 „die Liebste“) ist, was das persönliche am Vorgang des Küssens in den Fokus zu rücken versucht. Somit schließen sich männliche Kadenz, ein Paarreim, und weibliche Kadenz, ein weiterer Paarreim, zu einem Quartett, einer Strophe, zusammen, also, um metaphorisch zu sprechen: Es wird eine Einheit, ein Paar sozusagen, durch die jeweiligen Paarreime und dadurch auch die Kadenzen der verschiedenen Genera gebildet.
Um es zu deuten: Das Reimschema ist den ersten 5 Strophen sehr dienlich, wozu noch die Kadenzen verschiedenen Geschlechts kommen und zusammen mit dem Inhalt des Gedichts eigentlich keinen Zweifel daran lässt, dass die Botschaft des Gedichts in der Anleítung besteht und nicht, wie sich herausstellt, in der Relativierung derselben.
Dies führt mich zur Kommunikation mit dem Leser, da diese auch unterstützend auf die Strophen 1-5 wirken müsste, um die eigentliche Botschaft in Strophe 6 hervorzuheben. Durch unpersönliche Beschreibung des Vorgangs erhalten die ersten fünf Strophen Allgemeingültigkeit und verhindern einen Rückschluss auf die nun persönliche, aber in der 3. Person gehaltene Kusspartnerin, Wortfolge in Strophe sechs.
Personen kommen nur in Strophe drei mit „Adonis“ und „Venus“ (V. 12) und in Strophe fünf mit „Mehr allein denn bei den Leuten vor“ (V. 20). Die Erwähnung vom Liebespaar Adonis und Venus lässt Rückschlüsse auf die Verliebtheit des lyrischen Ich zu, was in Anbetracht der Ratschläge, die er gibt, schlüssig scheint, denn er erinnert sich mit der Wiedergabe der Worte seiner Handlungen. Die Erwähnung von „allein“ und „bei den Leuten“ weist auf einen anderen Teil einer Beziehung hin, die Zweisamkeit. Sie ist somit für das lyrische ich ebenfalls von Bedeutung und schafft mit dem nun weiter greifenden Ratschlag Lesernähe, welche bis dato durch den Wortlaut der Tipps kaum vorhanden gewesen ist, da das lyrische Ich zwar mit Freude und Aufregung, dennoch unpersönlich spricht.
Die Strophe sechs, mal abgesehen mit ihrer Botschaft, ändert nun mit der Erwähnung von Personen ihre Kommunikation grundlegend. Es werden Personen, wie z.B. „jedermann“ (V. 21), „er“ (V.22) und ganz deutlich in Vers 23 „Ich nur und die Liebste wissen“, angesprochen und signalisiert nun den Rückzug des lyrischen Ich aus der allgemein belehrenden Rolle in das Private und seine Rolle als Geliebter, lässt dennoch Raum für den Leser, welcher sich selbst, angeregt durch die Ansprache der „Liebste[n]“, als eben dieser Geliebte sehen könnte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Fleming's Gedicht „Wie er wollte geküsset werden“ ein sehr gutes Beispiel für eine Geschichte mit dem Ende: „Und die Moral von der Geschicht...“ ist. Er führt den Leser im Laufe der ersten fünf Strophen auf einen Irrweg, welchen er mit der Strophe sechs pointiert erleuchtet. Die Bilder, welche in den Strophen 1-5 im Kopf des Lesers entstehen, dienen diesen Strophen und geben keinen Anhaltspunkt für die Belehrung in der letzten. Die allgemeine Kommunikation mit dem Leser ist ein Mittel, welches hier nur zu gut eingesetzt wurde, um das persönliche Ende zu verschleiern und Allgemeingültigkeit seiner Aussagen zu vermitteln. Hinzu kommen noch die Wahl des Reims in Paaren und die abwechselnden männlichen und weiblichen Kadenzen, die selbsterklärend sinnbildlich für ein Paar stehen, welches sich, wenn man den Inhalt mit einbezieht, gerade küsst und somit auch die Gedanken der Protagonisten widerspiegeln könnte.
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