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Gedichtsvergleich: „Wo bist du itzt“ (Jakob Lenz) und „Blätterhände“(Dagmar Nick) - Referat
Die Gedichte „Wo bist du itzt“ von Jakob Michael Reinhold Lenz aus dem 18.- und „Blätterhände“ von Dagmar Nick aus dem 20. Jahrhundert befassen sich mit der Sehnsucht nach einer nahestehenden Person, welche in der das Lyrische Ich umgebenden Welt wiedergespiegelt wird. Im Folgenden gilt es die Gedichte zu analysieren und zu vergleichen.
Das Gedicht „Wo bist du itzt“ wurde von Jakob Michael Reinhold Lenz verfasst und befasst sich mit der Sehnsucht des Lyrischen Ichs nach einer abwesenden Person und ihre Auswirkungen auf die Wahrnehmung seiner Umgebung.
Das Gedicht besteht aus vier Strophen, welche jeweils vier Verse umfassen und ein durchgehendes Kreuzreimschema aufweisen.
Zu Beginn des Gedichts stellt das Lyrische Ich die Frage „Wo bist du itzt, mein unvergeßlich Mädchen[?]“ (V.1)
Abgesehen von ihrer Abwesenheit gibt das Gedicht kaum Informationen über genanntes Mädchen, wohl aber über die Beziehung des Lyrischen Ichs zu ihr.
Es bezeichnet sich als ihr „Freund“ (V. 8), ob dies romantischer Natur ist, bleibt offen. Gewiss ist jedoch, dass er sie sehr vermisst, diese Sehnsucht spiegelt sich in der Beschreibung seiner Umgebung wieder, auf welche das Lyrische Ich seine Gefühle überträgt. Hierbei spricht man auch von einer sogenannten „Seelenlandschaft“.
So scheint seit das Mädchen, das Lyrische Du, nicht mehr da ist, keine Sonne mehr zu scheinen (vgl. V. 5) und „der Himmel sich [ihr] zärtlich nachzuweinen“(V.7). Auffällig an dieser Stelle ist, dass nicht einfach von „es regnet“ gesprochen wird, nein, der Himmel „weint ihr nach“. Und er weint ihr nicht nur nach, sondern er tut es „zärtlich“, was ein mögliches Indiz für romantische Gefühle dem Lyrischen Du gegenüber sein könnte.
Des Weiteren empfindet das Lyrische Ich die ihn umgebende Welt als „still“ (V.10), denn mit dem Lyrischen Du ist auch die „Nachtigall [fortgeflogen]“ (V. 11,12). Dies könnte man als Metapher dafür sehen, dass etwas fehlt, seit sie gegangen ist, was im Gedicht durch Stille symbolisiert wird. Möglicherweise ist diese Stille aber auch wörtlicher gemeint, da die Nachtigall nicht für Geräusche, sondern ganz speziell ihren Gesang bekannt ist und in Vers 2 die Frage „Wo singst du itzt?“ gestellt wird. Das Lyrische Ich scheint also buchstäblich ihr Singen zu vermissen.
Ebenfalls auffällig ist die Verallgemeinerung in dem Gedicht. So spricht das Lyrische Ich davon, dass „all unsere Lust mit [ihr] fortgezogen“ (V.9) sei, und auch „triumphiert“ seiner Meinung nach die Stadt, in der das Lyrische Du lebt (vgl. V. 3). Hierbei handelt es sich um ein weiteres Merkmal seiner Seelenlandschaft: Das Lyrische Ich vermisst sein „unvergeßlich Mädchen“ (V.1), daher muss es seine gesamte Umwelt ebenfalls tun.
Gleichzeitig schließt das aber auch nicht aus, dass sie tatsächlich von vielen ihrer Mitmenschen vermisst wird.
Die letzte Strophe ist gesondert zu betrachten. In den ersten drei Strophen stellt das Lyrische Ich rhetorische Fragen und beschreibt seine Seelenlandschaft. In der vierten nun findet sich (gleich zweimal) die Aufforderung „Komm zurück!“ (V13/15) wieder, denn „sonst wird es Winter werden im Monat Mai“ (V.15,16)
Diese Aussage bringt das Prinzip der Seelenlandschaft des Lyrischen Ichs noch einmal auf dem Punkt. Ist das Lyrische Du nicht mehr da, wird sein Leben karg, trostlos und kalt und es wird dementsprechend selbst den Mai als Winter empfinden.
Auch in „Blätterhände“ von Dagmar Nick ist der Winter zur falschen Zeit eingetreten. So sitzt das Lyrische Ich in einer „Frostnacht, zu früh für den Herbst“ (V. 1,2) bei offenem Fenster an seinem Schreibtisch (vgl. V. 7). Als der Wind Blätter einer Esche in das Zimmer weht (vgl. V. 3-5), bemerkt es an einem der Blätter eine Linie, die das Lyrische Ich an eine Lebenslinie erinnert. „Es könnte die deine sein“ (V. 10,11), äußert es dazu. Wer das Lyrische Du ist, wird allerdings mit keinem weiteren Wort erwähnt. Jedoch ist es naheliegend, dass es sich um eine verstorbene Person handeln könnte und zwar aus folgenden Gründen:
Zum einen kreiert das Gedicht ganz im Allgemeinen eine tendenziell düstere, bedrückte Stimmung. So handelt es sich um eine „Frostnacht“ (V.1) und die „Blätterhände der Esche“ (V. 3) fallen nicht einfach durch das Fenster, sondern „fahren wie abgesprengt“(V.4). Auch die Tatsache, dass die Lebenslinie so betont wird, lässt darauf schließen, dass es sich um eine äußerst markante Linie handelt, denn sonst würde sie dem Lyrischen Ich nicht unter den vielen Blättern ins Auge springen. Ebenfalls auffallend sind die beiden kleinen Worte „zu früh“ (V.2), die hier zwar im Bezug auf den Winter geäußert werden, aber auch den Tod des Lyrischen Dus beschreiben könnten.
Die Tatsache, dass das Lyrische Ich die scheinbare Lebenslinie aus einer Vielzahl von Blättern erkennt und sie im Anschluss aufbewahrt (vgl. V. 12) deutet darauf hin, dass es dem Lyrischen Du nahe gestanden hat und es sehr vermisst.
Auch in „Wo bist du itzt“ ist die Sehnsucht nach einer Person das zentrale Thema. Allerdings besteht hier noch die Hoffnung auf eine mögliche Rückkehr des Lyrischen Dus, was in Vers 15 deutlich wird: „Komm bald zurück.“ In Blätterhände hingegen ist die Trennung vom Lyrischen Du endgültig. Dementsprechend ist die Seelenlandschaft in diesem Gedicht bereits winterlich, während in „wo bist du itzt“ nur die Möglichkeit dieses symbolischen Winters besteht (Vgl. V. 13).
Auch formal unterschieden sich die beiden Gedichte. „Blätterhände“ besteht aus nur einer Strophe von 12 Versen, während „Wo bist du itzt“ 16 Verse, die in vier Strophen unterteilt sind, aufweist. Während „Blätterhände“ aus vielen Enjambements zusammengesetzt ist, finden sich solche in „Wo bist du itzt“ kaum. Das passt insofern zum Inhalt, da „Blätterhände“ nur eine einzige Situation, nämlich das Lyrische Ich am offenen Fenster, beschreibt; „Wo bist du itzt?“ hingegen einen längeren Zeitraum darstellt.
Außerdem gibt dieses Gedicht deutlich mehr Details preis als „Blätterhände“, in welchem nicht einmal Rückschlüsse auf die Geschlechter des Lyrischen Ichs und Dus gezogen werden können. Genauso wenig wird über die Beziehung der Personen klar. Kann man in „Wo bist du itzt“ noch vermuten, dass es sich um eine enge Freundschaft oder sogar romantische Beziehung handelt, gibt „Blätterhände“ keinerlei Aufschluss darüber, ob es sich nun um eine freundschaftliche, romantische oder verwandtschaftliche Beziehung handelt.
Dennoch wird in beiden Gedichten deutlich, dass das Lyrische Ich dem Lyrischen Du gegenüber eine starke Bindung verspürt (hat) und die Trennung ihm deutlich zu schaffen macht. Ebenjene Sehnsucht ist es, die die Gedichte gemeinsam haben.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Analyse und Interpretation beider Gedichte die Gemeinsamkeiten und Unterschiede hervorgehoben hat. Im Mittelpunkt steht hierbei, dass das Lyrische Ich eine ihm nahestehende Person sehr vermisst und dass diese Sehnsucht auch auf seine Umgebung und Umwelt übertragbar ist.
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