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Idylle von Dagmar Nick - Referat



"Idylle" (Dagmar Nick)



Von Vergänglichkeit wird nicht geredet.
Auch der Waffenstillstand vom Montag
ist schon am Dienstag gebrochen.
Wie leicht fliegt die Leuchtmunition
über den Bildschirm, wie hübsch
das Phosphorgrün der Raketen
bei Nacht.
Morgens sind die Gesichter der Toten
mit Tüchern bedeckt, die Gesichter
der Lebenden mit den Händen.
Einer wird gewinnen, verspätet.
Wir warten, todsicher
in der ersten Reihe.

(geschrieben am 11.7.1992)



Im Gedicht "Idylle" von Dagmar Nick, das 1992 entstanden ist, geht es um die Darstellung des Krieges in den Medien und um das Verhältnis der Zuschauer zu diesen Bildern.

Indem sie die Kriegsbilder im Fernseher konsumieren, nehmen die Menschen als Zuschauer die Grausamkeit des Krieges nicht mehr wahr. Er erscheint ihnen bloß - vergleichbar mit einer Spielshow - als faszinierend farbiges Spektakel.

Im Gegensatz zum Inhalt des Gedichtes erscheint die Sprache kühl und nüchtern.
Diesem Stil steht der ironische Gebrauch einiger Adjektive umso bemerkenswerter entgegen.
"Leicht" und "hübsch" (Z. 4, 5) werden verwendet, um das Kriegsgeschehen auf dem Bildschirm zu beschreiben. Diese deuten auf die Wirkung der Bilder auf den Fernsehzuschauer hin, der den Ernst der Kriegslage gar nicht begreift, weil er eben "todsicher" (Z. 13) in der "ersten Reihe" zuhause sitzt und das Geschehen als Unterhaltung auffasst.

Mehrmals wird direkt und indirekt vom Tod gesprochen. Schon gleich am Beginn wird von "Vergänglichkeit" (Z. 1), von der allerdings gesagt wird, dass darüber nicht geredet wurde.
Dies erscheint umso seltsamer, weil im Hauptteil des Gedichtes vom Krieg und als von Toten gesprochen wird (Z. 8). Zuletzt erscheint das zusammengesetzte Wort "todsicher" (Z. 12), das hier in mehrfacher Weise zu verstehen ist: Zunächst kann man es in der Deutung einer absoluten Gewissheit verstehen, dass der Zuschauer geduldig auf die Kriegsmeldung am Fernsehschirm wartet. In übertragender Bedeutung weist es jedoch darauf hin, dass stets neue Bilder vom Tod geliefert werden, der Zuschauer sich jedoch zuhause in Sicherheit vor dem Tod befindet. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Verwendung des Todesmotivs in diesem Gedicht den Widerspruch zeigt zwischen der Allgegenwärtigkeit des Todes durch den Krieg und dem Nichtwahrnehmen des Todes durch den Fernsehzuschauer.

Die Überschrift kann zweifach gedeutet werden: Inhaltlich drück sie das Gegenteil von Krieg aus und wirkt als zynische Antithese. Zugleich verdeutlicht sie, wie behaglich und sicher der Mensch in seiner privaten Sphäre dem Kriegsgeschehen folgt. Er hat sich in einer Scheinidylle eingerichtet.
Mehrere Antithesen (inhaltliche Gegensätze) strukturieren den Text:
"Montag" und "Dienstag" (Z. 2, 3), "Nacht" und "Morgens" (Z. 7, 8), die "Toten" und die "Lebenden" (Z.
8, 10) und auch die Verbformen "fliegt" (Z. 4) und "warten" (Z. 12) werden einander gegenübergestellt. Unterstrichen wird damit die tödliche Schnelligkeit des Krieges, in dem ein "Waffenstillstand" (Z. 2) genauso schnell wieder in Krieg umgeschlagen werden kann. Genauso schnell zerstören Bomben in kürzester Zeit viele Menschenleben. Hier klingt schon der krasse Gegensatz zwischen der Situation des Fernsehzuschauers in seiner "Idylle" und dem todbringenden Kriegsgeschehen an der durch die Überschrift in seiner Wirkung noch verstärkt wird.

Die im Gedicht verwendeten Bilder veranschaulichen, wie ein Krieg im Fernsehen dargestellt und vom Zuschauer aufgenommen wird. Sie sind im Grunde sehr realistisch: Was von der Nachseite des Krieges "über den Bildschirm" (Z. 5) gelangt, sehr ähnlich einem bunten Feuerwerk "Leuchtmunition" (Z. 4) und ein "Phosphorgrün der Raketen" (Z. 6).
Diese Bilder, Symbole der modernen, technisierten Kriegsführung, müssten eigentlich Entsetzen beim Betrachter hervorrufen, genau wie die bedeckten "Gesichter der Toten" (Z. 8).
Doch sie erreichen den Zuschauer nicht. Dieser wartet auf den Sieger des Duells, das er als Gameshow wahrnimmt: "Einer wird gewinnen, [...]" (Z. 11).
Die grausame Realität des Krieges wird ihn trotz der Fernsehbilder nicht bewusst, diese bleiben für ihn bunte Bilder eines "erfundenen" Kriegszenarios. Der Krieg findet im Wohnzimmer des Zuschauers statt und kommt ihm dennoch nicht nahe.

In dem Gedicht "Idylle" wird über die Darstellung des Krieges im Fernsehen und gleichzeitig über unsere Verhalten als Medienkonsumenten nachgedacht. Nicht nur die Verharmlosung des modernen Kriegsgeschehens durch die Inszenierung eines bunten Fernsehspektakels wird kritisiert, sondern auch das passive Verhalten des Zuschauers, der die Bilder des Krieges genauso konsumiert wie die dazwischengeschaltete Werbung.
Dieses Referat wurde eingesandt vom User: Royal_Aces



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