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Interpretation von Theodor Storms "Meeresstrand" - Referat
Theodor Storm war, entgegen zahlreicher anderer berühmter Dichter, nicht nur auf dem Gebiet der Literatur erfolgreich, sondern hatte auch in seinem bürgerlichen Leben eine sozial sichere Position erlangt. Nachdem er in Kiel und Berlin Jura studierte, arbeitete Storm als Advokat in Husum bis es zu einem Berufsverbot wegen ‚patriotisch-politischer Gedichte’ kam. Als Angestellter befreundet er sich u.a. mit Theodor Fontane und Joseph von Eichendorff. Einige Jahre später wird Storm zum Landvogt von Husum gewählt und arbeitet zuerst als Landrichter, schließlich als Amtsrichter und Amtsgerichtsrat bis er sich 1880 in den Ruhestand zurückzieht.
Zur Zeit von Storms Leben und Wirken, speziell im Entstehungszeitraum des Gedichtes Meeresstrand, sind zahlreiche historisch wichtige Ereignisse zu verzeichnen. Neben der Märzrevolution 1848 und der ‚Ära Bismarck’, lassen sich der Deutsch-Französische Krieg (1870-1871), die Gründung des Deutschen Reiches (1871), die folgende industrielle Revolution sowie die damit einhergehende Verarmung des Proletariats durch uneingeschränktem Kapitalismus nennen.
Die literarische Epoche dieser Zeit, der Realismus, lässt sich kurz wie folgt definieren. Als „bürgerlicher“ oder „poetischer Realismus“ bezeichnet, ist die Hauptströmung der deutschsprachigen Literatur vor allem durch objektive Betrachtung und detailgenaue Darstellung der Wirklichkeit charakterisiert. Wie auch viele andere Strömungen dringt der Realismus nicht zu den sozial niedrigeren Schichten vor und wird nahezu ausschließlich vom wohlhabenden Bürgertum geprägt.
Eine als realistisch bezeichnete literarische Darstellungsweise beschränkt sich jedoch nicht nur auf die einfache Abbildung wirklicher Verhältnisse, sondern ist Ausdruck des Konflikts mit den bestehenden Verhältnissen; in diesem Sinn kann ein realistisches Literaturwerk als Fiktion bezeichnet werden, die alle Merkmale der gesellschaftlichen Wirklichkeit aufweist.
Als Epochenbegriff bezeichnet Realismus die europäische Literatur des 19.Jh. (etwa 1830-80), wobei sich viele Modifikationen und Übergangsstufen zwischen Realismus und Naturalismus einerseits und dem Symbolismus andererseits herausgebildet haben. Träger des europäischen Realismus ist neben der Novelle der große Zeit- und Gesellschaftsroman bzw. die Erzählliteratur. Die Werke der großen Realisten (in Frankreich Balzac, Stendhal, Flaubert; in England Dickens; in Russland Dostojewski, Tolstoi, Gontscharow) wirken als Klassiker des Realismus bis heute auf das Romanschaffen des 20.Jahrhunderts.
Da Storms „Meeresstrand“ 1854 entstanden ist und 1856 in seiner zweiten Auflage „Gedichte“ erschien, lässt es sich der literarischen Epoche des Realismus zuordnen. Diese Einordnung erfolgt jedoch nicht nur auf Grundlage der Entstehungszeit, sonder wird in der folgenden Analyse noch weiter erläutert und bestätigt werden.
Zur Stellung des Gedichtes „Meeresstrand“ im Gesamtkontext von Storms Werken ist festzustellen, dass es sich mit einem Hauch von Melancholie, vor allem aber durch die Darstellung von Meer und Küste in die vor dem Hintergrund seiner Norddeutschen Heimat typischerweise dargestellten Sachverhalte, Orte und Geschehnisse einordnen lässt und daher mit der überwiegenden Mehrheit seiner Werke thematisch übereinstimmt. Daher ist das Gedicht als markantes Werk von Theodor Storm anzusehen.
Einige grundsätzliche Merkmale Storms Gedichtes werden im folgenden dargelegt. Als grundlegendes Thema greift Storm, wie für seine Werke typisch, die Beschreibung von Situationen des bereit in der Überschrift dargelegten Ortes des Meeresstrandes auf. In der Abenddämmerung nimmt das lyrische Ich verschiedenste Eindrücke am Strand war und gibt diese wieder. Der Text vermittelt eine leicht melancholische Grundstimmung, die sich ebenfalls mit einem Hauch von Heimweh mischt.
Zur strukturellen Gliederung des Gedichtes ist festzustellen, dass es sich um 4 Strophen handelt, welche von der Versanzahl her jeweils den klassischen Vierzeiler darstellen und somit der Volksliedform entsprecht. Dies ist ein erstes Anzeichen dafür, dass sich Storm auf die Ebene des Realismus begibt, da die klar und mit Bedacht strukturierten Strophen und Verse bereits ein Anzeichen für die geordnete, objektive, realistische Wiedergabe der Ereignisse ist.
Im Gedicht ist kein einheitliches Metrum vorhanden, dafür jedoch eine konstante, feste Abfolge der Kadenzen. Das nichtvorhandene Metrum deutet den natürlichen Sprachgebrauch an, welcher ungebunden an metrische Regeln unbewusst eingesetzt wird und daher keinen Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Beginnend mit einer unbetonten weiblichen Kadenz wechseln sich männliche und weibliche Kadenz ausnahmslos ab, sodass die gerade erwähnte Objektivität und Detailfülle weiter unterstützt wird. Zusätzlich kommt die natürliche, ungezwungene Wortfolge hinzu.
Das Reimschema in „Meeresstrand“ ist ein unreiner Kreuzreim, der sich in alle vier Strophen als Reim der Form ‚abcb’ darstellen lässt, wodurch ein Kompromiss zwischen strikter Gliederung und uneingeschränkter Freiheit geschaffen wird, wie es auch im wirklichen Leben ist.
Die von Storm gewählte Zeitform des Präsens stellt die Unmittelbarkeit der Ereignisse dar, welche dadurch zusätzlich objektiviert und real erscheinen.
Das lyrische Ich befindet sich an einem Meeresstrand, was durch einen tatsächlich vorhandenen, realen Schauplatz bereits ein erster Hinweis auf ein Gedicht des Realismus ist und belauscht, wie es in der 3. Strophe im ersten Vers „Ich höre ...“ deutlich wird, und beobachtet das Meer und die Tiere, was durch eine Beschreibung der Umgebung ersichtlich wird. Die für Storm typische Naturverbundenheit und Liebe zur Natur kann in dem Gedicht ebenfalls in Form der Naturverbundenheit des lyrischen Ichs wiedergefunden werden.
Bezüglich des Inhalts in „Meeresstrand“ ist festzustellen, dass in der ersten Strophe der Einbruch der Dämmerung beschrieben wird (1. Strophe, 2. Vers: „Und Dämmerung bricht herein;“), welcher durch das Herannahen einer Möwe ans Haff sowie feuchte Wiesen über die der Abendschein ‚spiegelt’ bildhafter dargestellt wird. Die erste Strophe ist den realistischen ‚Richtlinien’ getreu verarbeitet worden.
In der zweiten Strophe nutzt Storm den Begriff „Geflügel“, welches neben dem Wasser vorbeihuscht, was bereits ein Anzeichen dafür ist, dass es sich nicht um ein Gedicht des ‚klassischen Realismus’ handeln, kann. Unterstützt wird diese Hypothese durch die letzten beiden Verse der zweiten Strophe, in welchen die Lage der Inseln im Meer mit Hilfe eines Vergleich deutlich gemacht wird. Im dem dritten Vers „Wie Träume liegen die Inseln“ ist besonders das Wort ‚Traum’ von Bedeutung, da so eine gewisse Uneindeutigkeit und Subjektivität in das Gedicht gebracht wird, sodass sich die reine, wertungsfreie, detailgetreue Wiedergabe des objektiven Geschehens nicht mehr erfolgt und das Gedicht an Subjektivität gewinnt. Im nachfolgenden Vers „Im Nebel auf dem Meer“ ist ein weiteres Zeichen für die zumindest teilweise vorhandene Subjektivität des Gedichtes vorhanden. Mit dem Wort ‚Nebel’ erfolgt automatisch die Assoziation von etwas ungewissen, mystischen, da die Sichtverhältnisse im Nebel relativ schlecht sind und nicht alles ist wie es zu sein scheint, sodass der Anteil an Subjektivität unserer Wahrnehmung in der Situation vorhandenen Nebels stark zunimmt.
Die weitere Steigerung der Subjektivität erfolgt in der dritten Strophe, in der mit dem ersten Vers bereits die individuelle Wahrnehmung des lyrischen Ichs direkt angesprochen wird, indem Storm die Worte „Ich höre“ wählt. Das weitere entfernen von der Objektiven, lediglich faktenbezogenen Schilderung lässt sich durch den Ausdruck des „Geheimnisvollen Ton“ im zweiten Vers der dritten Strophe feststellen. Durch den im letzten Vers dieser Strophe eingebrachten Kommentar „So war es immer schon.“ kommt die stets fortschreitende Subjektivität des lyrischen Ichs weiter heraus, indem dessen Erfahrungen und Gewohnheiten als nichtobjektive Fakten einbezogen werden.
Die vierte Strophe stellt nun den Höhepunkt der Subjektivität dar. Die in den ersten beiden Versen verwendeten Verben „schauert“ und „schweigt“ erreichen beim Leser eine große emotionale Beteiligung und stellen die Gefühle des lyrischen Ichs heraus. Zusätzlich wird in den beiden letzten Versen der vierten Strophe mit dem Ausdruck, dass „Stimmen“, welcher Art auch immer, „vernehmlich“ werden und der ungewissen Beschreibung des Ortes, von dem diese Stimmen kommen, welcher nur noch mit der „Tiefe“ belegt ist, der Höhepunkt der Subjektivität erreicht.
Es lässt sich also feststellen, dass von der rein objektiven Beschreibung der Natur in der ersten Strophe, was den Richtlinie des ‚klassischen Realismus’ entspricht, ein Wandel zur eindeutigen Subjektivität in der letzten Strophe erfolgt.
Diese Entwicklung kann auch Strophenübergreifend anhand markanter Ausdrücke in jeder Strophe festgestellt werden. Beginnend in der ersten Strophe mit dem „Abendschein“ im letzte Vers, dem schließlich die Dunkelheit und damit eingeschränkte Wahrnehmung folgend wird, setzt sich diese Relativierung der nüchternen Faktendarstellung bis in die letzte Strophe sehr gut nachvollziehen. In der zweiten Strophe wird durch die Wortwahl des „Geflügels“ eine Uneindeutigkeit herausgestellt, was in logischer Konsequenz die Subjektivität der Ereignisse bedeutet. Im dritten und vierten Vers kommen nun die Begriffe „Träume“ und „Nebel“ hinzu, was eindeutige Zeichen eine getrübte Wahrnehmung sind, da Träume bei jedem Menschen anders sind und Nebel, wie bereit oben dargelegt, ein Zeichen für verminderte Sehfähigkeit, etc. ist. Die weitere Entwicklung und Steigerung der nicht mehr objektiven Darstellung der Ereignisse erfolgt in der dritten Strophe. Neben dem wie vorher erläuterten subjektiven „Hören“ des lyrischen Ichs, werden „geheimnisvolle“ Töne erwähnt, die zusammen mit dem im letzten Vers der Strophe angefügten Kommentar des lyrischen Ichs „So war es immer schon.“ eine einbestreitbare Steigerung der Individualwahrnehmung darstellt. Der Höhepunkt dieser Entwicklung ist in der vierten und letzten Strophe zu finden. Durch die Verben „schauert“ und „schweigt“ sowie das Adjektiv „vernehmlich“ und die beiden Substantive der „Stimmen“ als nicht näher definierte Geräusche sowie der „Tiefe“ als völlige Uneindeutigkeit des Ursprungs der Stimmen lässt nun eine fast ausschließlich subjektive Wahrnehmung des lyrischen Ichs wiederfinden, welche jedoch nach wie vor die Natur und dessen Umgebung am Meeresstrand beschreibt.
Die im Gedicht vorhandene Grundstimmung ändert sich in dessen Verlauf zusammen mit der fortschreitenden Entwicklung der Subjektivität. Zu Beginn erfolgt eine objektive Beschreibung der wunderschönen, faszinierenden Natur, welche sich in der zweiten Strophe bereits relativiert, indem eine gewisse Unsicherheit, wie z.B. durch den Ausdruck der ‚Träume’, hinzu kommt. Die dritten Strophe wird nun von geheimnisvollen und zum Teil gespenstigen Dingen dominiert. Indizien dafür sind die „geheimnisvollen Töne“ und der „gärende Schlamm“. Wirkliches Unbehagen und echte Unsicherheit kommen in der letzten Strophe zum Ausdruck, indem von ‚schauerndem’ und schließlich ‚schweigendem’ Wind gesprochen wird, sowie nicht näher definierte „Stimmen“ aus einer unergründlichen „Tiefe“ erwähnt werden. Zusätzlich lässt sich sagen, dass die zu Beginn geschilderte Atmosphäre des Gedichtes , d.h. das leichte Gefühl des Heimwehs, sich beispielsweise in der dritten Strophe im vorletzten sowie letzten Vers äußert. „Einsames Vogelrufen – so war es immer schon“ beschreibt ein eindeutiges Gefühl des Heimwehs. Außerdem ist oben genannte Melancholie in der Ungewissheit am Ende des Gedichtes zu begründen.
Der Wandel der anfangs enthusiastischen Stimmung zur melancholisch, depressiven Stimmung am Ende lässt sich bereits als vorausgreifende Literatur zur Literatur der Jahrhundertwende und der damit verbundenen depressiven Endzeitstimmung deuten, wobei diese Variante aufgrund der frühen Entstehungszeit zur Mitte des 19. Jahrhunderts relativ unsicher ist.
Durch die in den letzten Paragraphen dargestellte Entwicklung und die darin enthaltenen Erkenntnisse lässt sich nun sagen, dass entgegen der anfänglichen Einordnung des Gedichtes „Meeresstrand“ aufgrund der Entstehungszeit kein Werk des Realismus im klassischen Sinne vorliegt, sondern ein naturalistisches Gedicht, welches sich jedoch als eine Teilströmung des Realismus einordnen lässt, sodass die am Anfang dargelegten Aussagen weiterhin gültig sind.
Der Titel „Meeresstrand“ gibt dem Leser bereits zu Beginn eine Art Einstimmung und Einleitung in den weiteren Verlauf des Gedichtes, sodass der Leser eine Erwartungshaltung aufbauen kann. Durch diesen nüchtern gewählten Titel wird die Erwatungshaltung dementsprechend objektiv ausfallen, welche nachfolgend auch bestätigt wird, zumindest anfänglich, da sich diese Objektivität, wie bereits erwähnt, relativiert. Storm wird mit der schlichten und sachlichen Wahl des Titels dem Werk insgesamt voll und ganz gerecht, da sich die Entwicklung hin zur Subjektivität erst später vollzieht und anfänglich ein Titel vorhanden sein muss, der dem Realismus im eigentlichen Sinn gerecht wird.
Bezüglich der formalen Aspekte des Gedichts lässt sich sagen, dass ein Vergleich in der dritten Strophe vorhanden ist – „Wie Träume liegen die Inseln im Nebel auf dem Meer“, welcher die Funktion hat den bereits oben dargelegten subjektiven Eindruck der Landschaft zu vermitteln, indem das Wort ‚Traum’ einen Ungewissheitsfaktor darstellt. Neben diesem Vergleich lassen sich zahlreiche Enjambements finden. In der erste Strophe ist der dritte und vierte Vers ein Zeilensprung, in der zweiten Strophe sind es sowohl erster und zweiter als auch dritter und vierter Vers. In der dritten und vierten Strophe sind jeweils die ersten beiden Verse Enjambements. Diese Zeilensprünge fungieren als Unregelmäßigkeitselement, welches die realistische Atmosphäre widerspiegelt – die Natur ist nicht komplett durchorganisiert und stets gleich, sondern einzigartig und verschieden in all ihren Facetten, sodass dieser Sachsverhalt durch die unregelmäßig auftretenden Enjambement dargestellt wird. Als weitere formale Auffälligkeit sind die beiden vorhandenen Inversionen zu nennen. In der ersten Strophe der erste Vers sowie in der dritten Strophe die durch einen Zeilensprung verbundenen ersten beiden Verse sind ebenfalls durch eine Inversion geprägt. Die Funktion dieser besteht in der Betonung der ‚Möwe’ und des ‚gärenden Schlammes’, wodurch erneut der Wandel von der objektiven Naturdarstellung der ‚Möwe’ zur subjektiven Naturdarstellung durch den ‚gärenden Schlamm’ deutlich wird.
Abschließend kann ich sagen, dass Storms Gedicht „Meeresstrand“ ein für die literarische Strömung des Naturalismus typisches Werk ist, welches zahlreiche Kriterien aufweist, die auf Storm selbst als Autor und die Entstehungszeit des Werkes hinweisen. Theodor Storms eigene Naturverbundenheit kommt mehrfach zum Ausdruck und zieht sich durch das gesamte Werk, wie es für seine Literatur charakteristisch ist.
Quelle(n) für dieses Referat: http://www.momo-lyrik.de/history3.htm
http://www.pinselpark.org/geschichte/spezif/literaturg/epochen/1850_realismus.html
http://www.oppisworld.de/zeit/biograf/bios/storm.htm
http://www.ksl.asn-linz.ac.at/php/phl/standhartinger/interpretationshilfe.htm
http://www.martinschlu.de/kulturgeschichte/neunzehntes/vormaerz/storm/werke.htm
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