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Maria Stewart: Aufzug 3, Szene 4 - Referat
Zu F. Schiller, „Maria Stuart“: Interpretation der Dramenszene III, 4
In der vierten Szene des dritten Aufzugs des Schiller-Dramas „Maria Stuart“ treffen zum ersten Mal im gesamten Stück die beiden kontrahierenden Königinnen Maria und Elisabeth aufeinander und versuchen beide in einem strategisch durchdachten Gespräch für sich selbst den besten Vorteil herauszuholen. Das Treffen der Königinnen ist Peripetie des Dramas, die Hinrichtung Marias ist danach nur mehr eine Frage der Zeit.
Maria, Königin von Schottland, ist eine politische Gefangene der Königin von England, Elisabeth. Elisabeth hat Grund zur Sorge, Maria könnte ihr den Thron rauben: aus der Sicht der katholischen Kirche wäre Maria die rechtmäßige Königin von England, wohingegen Elisabeth ein uneheliches Kind ist. So haben die beiden ein tief misstrauisches, negativ eingestelltes Verhältnis zueinander, weil sie sich vorher aber nie persönlich begegnet sind gehen beide im dritten Aufzug des Dramas auf diese Begegnung ein, Maria erhofft sich, Elisabeth zu erweichen und ihre Freilassung zu erreichen, kurz vor dem Gespräch hat sie jedoch Bedenken, nicht die richtigen Worte zu finden. Elisabeths Ziel dagegen ist, ihre Maria durch ihre Schönheit zu übertrumpfen und ihre große Überlegenheit zu demonstrieren, denn Leicester hat sie davon überzeugt, sie sei schöner als Maria. Während vor dem Treffen noch alle Ausgänge möglich sind, ist nach dem für beide nicht zufriedenstellenden Ausgangs des Gesprächs, das in einen Streit ausgeartet ist, Marias Schicksal endgültig besiegelt, sie wird zum Tode verurteilt werden. In der folgenden Dialoganalyse werde ich deshalb ein besonderes Augenmerk darauf legen, was das Gespräch in einen Streit umschlagen lässt und wie die beiden Königinnen im Verlauf versuchen, ihre Absichten jeweils durchzusetzen versuchen.
Maria verspricht sich von einem privaten, vertrauten Gespräch mit ihrer königlichen Verwandten eine Befreiung aus ihrer Gefangenschaft und die Aufhebung ihrer Todesstrafe, unterwirft sich Elisabeth deshalb politisch vollständig. Elisabeths vorrangiges Ziel ist nicht nur Demonstration ihrer politischen Überlegenheit, sondern auch die ihrer Überlegenheit als tugendhafte Frau, ihrer größeren Schönheit. Vorbereitet auf den völligen Verzicht aller Machtansprüche unterwirft sich Maria auch den Vorwürfen Elisabeths. Allerdings lässt sie den Vorwurf Elisabeths, ihre Männer zu töten, nicht über sich ergehen und fängt ihrerseits an, Elisabeth zu beleidigen, spielt auf Elisabeths wunden Punkt an, ihre uneheliche Herrschaft. Sich gegenseitig beschimpfend gehen die beiden Kontrahentinnen auseinander.
Gleich zu Anfang wird Elisabeth enttäuscht, wider Erwarten ist Maria keinesfalls „eine Tiefgebeugte“ (V.2243), wie ihr von Leicester versprochen worden war, sondern „eine Stolze“ (V.2244). Sie kann also nicht mit ihrer bloßen Anwesenheit Maria an Schönheit übertreffen, verliert einen wichtigen Vorteil gegenüber Maria, mit dem sie eigentlich fest gerechnet hatte. Sie reagiert deshalb distanzierter auf Marias Flehen, die sich schmeichlerisch an den Edelmut der „Schwester“ (vgl. V.2253) appelliert, verweist sie, sie sei „an [ihrem] Platz“ (V.2257), spricht sie höflich-kühl mit „Ihr“ (V. 2257) an. Diese Distanz versucht Maria zu brechen, durch flehende Worte das Herz Elisabeths zu rühren (vgl. V.2274). Elisabeth geht darauf nicht ein, erinnert „Lady Stuart“ (V.2279) nochmals daran, dass sie für dieses Gespräch „so weit / heruntersteig[t]“, und sie es allein dem „Trieb der Großmut“ (V.2284) folgt, stellt also heraus, wie abhängig Maria von ihrem Großmut, ihrer Gnade ist. Maria geht diplomatischer vor; deutet Elisabeth gegenüber an, dass sie „an ihr gehandelt [hätte], wie nicht recht ist“ (V.2295), lenkt dann aber ein und ist bereit alles zu vergessen (vgl. V.2305) und konstatiert: „Ihr seid nicht schuldig, ich bin auch nicht schuldig“ (V.2308). So schiebt Maria ihre Feindschaft geschickt auf den Einfluss anderer „böse[r] Menschen“ (V.2312). Sie vermeidet, Elisabeth offen anzugreifen, denn sie hat schon vorab festgestellt, dass sie „doch nicht für [sich] sprechen [kann] ohne Euch / Schwer zu verklagen“ (V.2293f). Darauf geht Elisabeth nicht ein, sie wiederum schiebt die Schuld an der Feindschaft zwischen ihnen ganz allein Marias „schwarze[m] Herz“ (V.2230) zu, der „wilde[n] Ehrsucht Eures Hauses“ (V.2231), und geht sogar noch weiter: sie sieht den Königsmord an Maria gerechtfertigt, denn Marias „Oheim gab / das Beispiel allen Königen der Welt“ (V.2349f), „Gewalt ist die einz’ge Sicherheit“ (V2361), um endgültig vor den Intrigen Marias und ihrer Verbündeten sicher zu sein. Dementgegen stellt Maria, wenn Elisabeth sie zu ihrer Erbin erklärt hätte (vgl. V.2366), wäre sie Elisabeth „eine treue Freundin und Verwandte“ (V.2368) gewesen, zielt also wieder auf Elisabeths Gnade ab und hofft auf Verzeihung, da diese wieder nicht darauf eingeht, entsagt Maria „jedwedem Anspruch auf dies Reich“ (V.2379), mit der Aussage dass sie nicht „vor Euch stehn [möcht], wie Ihr vor mir“ (V.2402), ist Maria am Tiefpunkt ihrer Unterwürfigkeit. Um Maria aber noch weiter zu demütigen und ihre Überlegenheit auch auf ihre Eigenschaften als Frau auszubauen beleidigt Elisabeth Maria, ihre Freier und Männer zu töten (vgl. V.2410f) und „die allgemeine Schönheit / Zu sein, […] die gemeine für alle“ (V.2417f). Für Maria geht das zu weit, jetzt kann sie sich nicht mehr zurückhalten und beleidigt Elisabeth ihrerseits, indem sie sie mit ihrer unehelichen Herkunft konfrontiert; sie hätte „Nicht Ehrbarkeit […] von [ihrer] Mutter / Geerbt“ (V.2430f), trotz der Bemühungen Leicesters und Shrewsburys echauffiert sich Maria immer weiter, gipfelt in der Aussage „Regierte Recht, so läget ihr vor mir / Im Staube jetzt, denn ich bin euer König.“ (V.2450f), tatsächlich kommt hier heraus, wie gegenteilig ihre vorherigen unterwürfigen Aussagen waren zu dem, was sie eigentlich meint. Die vollkommene politische Unterwerfung der Maria, ihr Verzicht auf jegliche Machtansprüche und ihre schmeichlerischen Annäherungsversuche reichen Elisabeth nicht aus. Zwar kann sie so ihre Überlegenheit demonstrieren, gar zelebrieren, jedoch war ihr von Anfang an Unrecht, dass Maria trotz Gefangenschaft immer noch schöner ist als sie selbst. Um auch Marias Schönheit abzuwerten und beleidigt sie, ihre Männer nur auszunutzen. Maria verliert daraufhin ihre Beherrschung und beleidigt ihrerseits Elisabeth aufgrund ihrer unehelichen Herkunft.
Der Dialog zwischen Maria und Elisabeth ist kein Gespräch auf Augenhöhe, für Maria hängt sehr viel mehr daran, als Gefangene der Elisabeth ist ein guter Ausgang für sie essentiell. So schmeichelt sie Elisabeth, versucht ihr Vertrauen zu erwecken und unterwirft sich ihr sowohl durch ihr Gesagtes, als auch physisch und emotional. Im Gegensatz dazu steht die distanzierte, misstrauische Elisabeth, die ihre Überlegenheit demonstriert, indem sie Maria permanent provoziert. Marias emotionale Unterwürfigkeit schlägt bei Elisabeths letzter Provokation um in sehr emotionale Ablehnung.
Anfangs muss Maria noch schwer mit sich kämpfen, dass sie Elisabeth ergeben entgegentreten kann (vgl. 2. Regieanweisung S.78), unterwirft sich ihr dann aber durch ihre Rede wie durch ihre Körpersprache, denn sie „fällt vor ihr nieder“ (vgl. 4. Regieanweisung S.78). Weil Elisabeth nicht nur abweisende Worte „kalt und streng“ (vgl. 2. Regieanweisung S.79) spricht, sondern auch distanziert zurücktritt (vgl. 4. Regieanweisung S.78) wird Maria emotional und redet „mit steigendem Affekt“ (vgl. 1. Regieanweisung S.79). Ihre emotionale Grundhaltung ist geschaffen, denn für sie hängt ihr Leben an einem guten Ausgang dieses Gesprächs. Maria versteht es im weiteren Verlauf, ihre eigene Aufgewühltheit zu kanalisieren und ihr Schmeicheln genügend mit Emotionen zu verstärken, so soll es auf Elisabeth noch eindringlicher wirken (vgl. z.B. V. 2323 „Ach, dass…“, V. 2363 „O das ist Euer traurig finstrer Argwohn!“). Doch auf Elisabeth hat dies keine große Wirkung, als Maria ihr die Freundschaft anbietet, verweist sie sie darauf, dass ihre „[Freundschaft] draußen“ (V.2370) sei. Maria steigert sich ein klein wenig mehr hinein in das Gespräch, das obwohl sie es so oft versucht hat, keine Wendung nehmen will, als sie Elisabeth in ihrer abermaligen Hassrede unterbricht (vgl. V.2378f). Dies ist der erste Bruch in der Dialogführung, die vorher immer von Elisabeths Aussagen dominiert worden ist, zum ersten Mal wartet Maria nicht ab, bis Elisabeth geendet hat. Maria scheint ungeduldig zu werden, auch fordert sie Elisabeth im Imperativ auf, „sprecht dieses Wort aus.“, „Sagt mir […]“ (V.2390), „Sagt’s“ (V.2393). Im nächsten Satz fängt Maria sogar an, Elisabeth unterschwellig zu drohen („Weh euch […]“, V.2397), stellt klar, dass sie Elisabeths Haltung zutiefst verachtet, sie selbst wollte niemals „vor Euch so stehn, wie Ihr vor mir“ (V.2403). Als würde sie den Triumpf auskosten, Maria endlich in die Enge getrieben zu haben, setzt Elisabeth ihren Provokationen noch die Spitze auf, sagt, Maria „tötet [ihre] Freier / Wie [ihre] Männer“ (V.2410). Damit hat sie Maria endgültig aus ihrer demütig-ruhigen Haltung gebracht, sie fährt auf und fleht um Mäßigung (vgl. V.2413f). Doch Elisabeth mäßigt sich nun erst recht nicht und verhöhnt sie, die „allgemeine Schönheit“, die „gemeine für alle“ (V.2417f) zu sein. „Höhnisch“ lacht sie Maria aus (vgl. 3. Regieanweisung S.83), verspottet sie, jetzt zeige sie ihr „wahres Gesicht“ (V.2420). Dabei ist es so, dass Elisabeth ihr wahres Gesicht zeigt: in ihrem weiblichen Stolz verletzt (Maria ist schöner als sie), demütigt Elisabeth ihre Gefangene nicht nur politisch, sondern würdigt sie auch als Frau zutiefst ab. Maria ist nun nicht mehr zu halten, es scheint als ob sich alle ihre angestauten Aggressionen jetzt endlich entladen, sie sagt: „ich habe / Ertragen, was ein Mensch ertragen kann“ (V.2436) und beleidigt Elisabeth als „list’ge Gauklerin“, die den Thron entweiht und unrechtmäßig an der Macht ist (vgl. V.2449). Die dramatische Gestaltung ist hier im wahrsten Sinne des Wortes höchst dramatisch. Zwischen den Zeilen kann man beinahe das Knistern der Funken hören, die zum Schluss geschossen werden. Emotional hat sich bei beiden Königinnen viel angestaut, Maria hat ihre Aufgewühltheit, ihr gesamtes Herzblut in die Unterwerfung gegeben, und nichts erreicht. Elisabeth wurde gleich zu Anfang enttäuscht, denn Maria ist doch schöner als Gedacht. So steigern sich die beiden Gegenseitig und Elisabeth gibt den Auslöser für den Streit, indem sie Maria über die Maße heftig demütigt.
Auch sprachlich ist dieser Auftritt bemerkenswert, diffizil und strategisch höchst durchdacht legen sich die beiden Kontrahentinnen ihre Worte zurecht. Um ihre Absichten besser gegen die jeweils andere durchzusetzen bedienen sich beide Königinnen gleichermaßen rhetorischen Mitteln. Sehr metaphorisch ist ihrer beider Sprache, rhetorische Fragen vor allem von Elisabeth unterstützen den Eindruck ihres überheblichen, fast schnippischen Charakters.
Die Metonymie „Die mich in diese Schmach herunterstieß“ (V.2249), die Maria für Elisabeth benutzt, zeigt schon ganz am Anfang deutlich, dass Maria äußerst negativ auf Elisabeth eingestellt ist, sie reduziert sie darauf, sie eingesperrt zu haben. Durch die metaphorische Sprache bringt Maria ihr Anliegen eindrücklich hervor, ihre Aussagen gewinnen Lebendigkeit und Emotionalität. Schön zu beobachten ist dies zum Beispiel in Vers 2270f und auch die Personifikation in V. 2276f, „kaltes Grausen fesselt“ unterstreicht die stark gefühlsgeleitete Aussage Marias. Antithetisch betont sie, dass die Schuld an der Zwietracht zwischen den Königinnen Fremde haben („Hass in unsern Herzen […] zarte Jugend“ V.2310f, „Schwert und Dolch […] unberufne Hand“ V.2315,…) und indem sie abrupt damit aufhört in Vers 2319, versucht sie Elisabeths Vertrauen und Aufmerksamkeit zu wecken für eine Versöhnung. Elisabeth geht, wie schon mehrmals erwähnt, darauf nicht ein und verhöhnt Maria durch rhetorische Fragen (vgl. Verse 2349, 2353, 2358,…). Diese Art zu reden impliziert von vorne herein Elisabeths Überlegenheit, aber auch, dass sie diese schamlos ausnutzt. Nachdrucksvoll endet sie ihre Hassrede mit der Sentenz „Kein Bündnis ist mit dem Gezücht der Schlangen“ (V.2362). Maria hingegen muss diplomatischer sein, ihre Aussage, Elisabeth hätte sie stets nur als „Feindin“ betrachtet, unterstützt sie mit dem Neologismus „und Fremdlingin“ (V.2365f), „Dankbarkeit“ ergänzt und erweitert sie mit „Liebe“ (V.2367), „Freundin“ mit „Verwandte“ (V.2366), so erhält ihr gemeintes eine vollständigere Form. Ein Parallelismus zieht sich durch den gesamten Auftritt, er wird insgesamt dreimal aufgegriffen. Elisabeth führt ich ein; „Dass ich [nicht] zu euren Füßen / liegen sollte, wie Ihr jetzt zu meinen“ (V.2259f). Maria ihrerseits versichert einige Sequenzen später ihrerseits „[Nie] möcht ich vor Euch so stehen, wie Ihr vor mir“ (V.2402), das ist auch der Punkt, Marias größter Unterwerfung, sie möchte nicht an Elisabeths Stelle sein, geschweige denn sich so verhalten wie sie. Jedoch schließt Maria den Auftritt nach ihrem Wutausbruch wieder mit einem ähnlichen Satz: „Regierte Recht, so läget Ihr vor mir / Im Staube jetzt, denn ich bin Euer König“ (V.2450f). Dieser über den Auftritt verteilte Parallelismus macht immer wieder klar, hier geht es ganz essentiell darum, welcher Königin welcher Platz zukommt. Marias Flehen, ihre Aufgewühltheit kanalisiert sie eindrucksvoll mit Metaphern, Antithesen und sehr differenzierter Sprache, denn ihr Ziel ist es, durch geschickte Diplomatie Elisabeth umzustimmen und von ihrer Unschuld zu überzeugen, oder sie wenigsten zu überzeugen, sie freizulassen. Elisabeths Ziel hingegen ist eine möglichst tiefgreifende Demütigung Marias. Dazu benutzt sie zwar auch metaphorische Sprache, für Elisabeth eher charakteristisch aber sind ihre schnippisch-überheblichen rhetorischen Fragen.
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