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Sehnsucht - Referat
„Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Diese Worte stammen von Antoine de Saint-Exupery und sie spiegeln meine momentane Lage aus irgendeinem Grund sehr passend wider. Ich will zwar kein Schiff bauen, aber ich will das endlose Meer sehen. Ich sitze an meinem überfüllten Schreibtisch. Überfüllt von mathematischen Formeln und Funktionsschaubilder, überfüllt von Zusammenfassungen von Stoffwechselvorgängen im menschlichen Körper, überfüllt von amerikanischer und britischer Geschichte, überfüllt von Lektürehilfen und Stoffsammlungen. Ich bin quasi ein Matrose, der die Sehnsucht bereits in sich trägt. Und jetzt drohe ich in Papier zu versinken. Ich sollte lernen, denn in einer Wochen fangen meine Prüfungen an. Ich drehe den Globus, der ganz am Rand meines überfüllten Schreibtisches Platz gefunden hat und schon beginnt das kribbelnde Gefühl in meinem Bauch. Ich sehe Namen von Ländern, die ich nicht kenne, aber kennen will. Ich sehe die vielen mir noch unbekannten Kontinente zwischen den großen blauen Flächen. Und die Vorfreude packt mich, ein fast fiebriges Gefühl meine Reise beginnen zu wollen, raus zu kommen, was anderes zu sehen. Die Welt ist so groß und scheint nur noch auf mich zu warten. So viele Orte! Ich will nur noch die Zeit rumkriegen. Ich habe den unerträglich starken Wunsch auf Reisen zu gehen und fertig mit der Schule zu sein. Ich habe Sehnsucht. Sehnsucht nach dem endlosen Meer von Eindrücken.
Der Duden definiert Sehnsucht als ein „inniges, schmerzliches Verlangen nach jemandem, etwas [Entbehrtem, Fernem]“. Sie ist also ein Gefühl, ein starkes Gefühl. Ein Gefühl braucht einen Ursprung und es braucht typische Eigenschaften. Was macht also die Sehnsucht in uns? Und woher kommt sie? Wozu ist sie fähig?
Die Männer beim Schiffbau sollen durch die Sehnsucht, den unerträglich starken Wunsch, dem schmerzlichen Verlangen nach dem endlosen Meer, gepflanzt von ihrem Kapitän, angespornt werden. Sie liefert ihnen eine Art Antrieb oder Motor, das Schiff zu bauen. Ihrer Aufgabe nach zu kommen, um ihr Ziel zu erreichen. Denn Sehnsucht will immer gestillt werden.
Doch ich muss lernen, statt meine Sehnsucht zu stillen. Mein Wunsch wird untergraben von meiner Pflicht. Ja, sie scheint ihm regelrecht eine lange Nase zu ziehen. Er wird eingedämmt, unterbunden und ausgebremst. Und trotzdem bleibt der Wunsch gegenüber der Pflicht stark, lautstark. Es passt dem Wunsch nicht unterbunden zu werden, er protestiert und wird immer wieder laut in mir. Und mit jedem Mal lauter. Er wächst und wird stärker. Das Leiden unter der Pflicht stachelt den Wunsch an, er ernährt sich fast davon. Das erfahre ich in diesen Tagen fast täglich. Immer wieder ertappe ich meine Gedanken, wie sie abschweifen, während ich meiner Pflicht als Schülerin, zu lernen, nachkomme. Manchmal leide ich fast schon darunter das Ziel so greifbar nah zu haben und doch immer und immer wieder am Schreibtisch zu sitzen. So wird meine Sehnsucht nach der weiten Welt immer und immer stärker.
Dieses Verhalten greift eine weitere Eigenschaft der Sehnsucht auf: verspürt man sie, kann man erst wieder in Ruhe leben, wenn sie gestillt ist. Vorher lässt sie einen nicht mehr los, sie ist immer da und setzt sich fest im Kopf, verankert sich dort. Nun könnte man meinen, dass das negativ ist. Ich persönlich habe andere Erfahrungen gemacht, meist aber erst im Nachhinein. Denn durch diese Eigenschaft scheint die Sehnsucht nach etwas, das Leben im Leben zu erhalten. Obwohl sie manchmal leiden lässt bringt sie Aufregung und auch Spannung ins Leben. Ohne die Sehnsucht nach meiner Reise hätte ich ja kaum etwas, worauf ich mich freuen kann, wofür es sich sozusagen lohnt zu leiden und die Zeit des Prüfungsstresses zu überstehen. Sie bietet mir jedes Mal, wenn ich in Papier zu versinken drohe den Ausblick auf etwas wunderbares, etwas worauf ich mich riesig freuen kann.
Der Theologe Anselm Grün schreibt in seinem Buch. „Buch der Lebenskunst“, dass die Sehnsucht das Wertvollste ist, das der Mensch in sich trägt. Sie sei „der Anker, den Gott in unser Herz geworfen hat, um uns daran zu erinnern, dass unser Herz im Vorläufigen nicht zur Ruhe kommt.“ Demnach liegt der Ursprung der Sehnsucht also in Gott. Er ist unser Lehrmeister. Er hat uns die Sehnsucht geschenkt, eben um das Leben im Leben zu erhalten, um uns zu erinnern, dass wir leben und auch leben sollen, solange unser Herz schlägt. Und da er sie in unser Herz geworfen hat, kommt Sehnsucht von Herzen, da wo auch alle anderen Gefühle herkommen. Aber wo liegt dann der Ursprung der Sehnsucht für einen Atheisten? Hatte er einen anderen Lehrmeister? Vielleicht einen Mann, der ein Schiff bauen wollte? Ob die Sehnsucht von Gott kommt oder nicht sollte jeder für sich entscheiden. Jeder sollte für sich entscheiden, woran man glauben will. Denn Fakt ist, dass es sie gibt. Sie muss einen Ursprung haben.
Aber woran ist Sehnsucht überhaupt gebunden? Wonach kann man Sehnsucht empfinden? Nach Gegenständen, Personen, Orten, Gefühlen, wie Glück, Liebe, Geborgenheit? Es scheint tatsächlich so vielfältig zu sein. Denn sie entsteht zunächst im Kopf und unsere Gedanken sind bekanntlich grenzenlos. Zunächst sind Sehnsüchte vielleicht nur Wünsche und sie werden deshalb auch oft verwechselt. Ich meine, wenn wir uns zum Beispiel nach einer schön großen Pizza vom Italiener um die Ecke sehnen, empfinden wir ja nicht gleich Sehnsucht, auch wenn es ein sehr starker Wunsch ist, der auch noch von Magenknurren unterstützt wird. Ist Sehnsucht nicht eigentlich viel mehr? Ist sie nicht ein Wunsch, der uns am ganzen Körper fühlen lässt? Mit jeder Faser unseres Selbst? Geht sie nicht vom Herzen aus und berührt uns auch dort am Meisten? Da, wo vielleicht Gott, vielleicht jemand anderes unsere Sehnsucht verankert hat?
Die Reise nach dem Abitur war für mich auch zunächst eine Idee, ein Hirngespinst. Aber plötzlich und unmerklich hat mich das Reisefieber mit jeder Faser meines Körpers gepackt, dass ich es kaum aushalte, gerade diesen Text darüber zu verfassen. Und ich bin mir auch sicher, dass man nach vielen Dingen Sehnsucht empfinden oder entwickeln kann. Vielleicht sogar nach Pizza, wenn man auf Diät war oder in einem anderen Land mit anderer Esskultur.
Einmal verspürt können wir Sehnsucht nicht mehr vergessen. Sie begleitet uns ein Leben lang, hoffe ich zumindest. Sehnsüchte bestimmen unser Leben in gewisser Weise auch, was zeigt wie mächtig Sehnsucht ist. Hat nicht jeder von uns diese „To-Do-Liste“ im Leben? Auf der Wünsche und auch Ziele stehen, die man sich selbst steckt uns die unbedingt erreicht werden wollen? Diese Wünsche zeugen ja vielleicht von Sehnsucht oder entwickeln sich dazu. Immanuel Kant sagte einmal, dass Sehnsucht der Wunsch ist, die Zeit zwischen Begehren und Erwerb des Begehrten vernichten zu können. Und ist es nicht genau das? Beschreibt das die Sehnsucht nicht am besten? Wenn man von einem geliebten Menschen getrennt ist, sich nach ihm sehnt, will man dann nicht einfach die Zeit bis zum Wiedersehen vernichten? Will nicht auch ich einfach nur die Zeit vernichten? Ist meine Sehnsucht danach die Welt zu entdecken, dem Sinn nach allem dadurch etwas näher zu kommen, nicht dadurch definiert, dass ich die Zeit totschlagen will, bis ich mein Ziel erreicht habe, meine Sehnsucht gestillt ist? Die Frage nach dem Ursprung bleibt vielleicht offen, aber was sicher bleibt ist, dass Sehnsucht mächtig ist, unser Leben erhält und wenn sie gestillt ist, Wunderschönes und Befreiendes hervorruft. Dass sie ein Gefühl ist, dass von Herzen kommt und auch Schmerz hervorrufen kann, am Ende jedoch unsere Leben bereichert.
Sehr gut, danke liebes Essay, dass meine Sehnsucht nach der großen weiten Welt nun mehr als jemals zuvor in meinem Herzen brennt und du noch mehr Papier geschaffen hast in dem ich nun versinke. Immerhin habe ich durch dich etwas Zeit rumbringen können und bin meinem Ziel schon wieder etwas näher gekommen.
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