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Sibylle Berg: „Und in Arizona geht die Sonne auf“ - Referat



Ein Mann in der Krise seines Lebens, auf der Sinnsuche nach seinem Platz in der Welt. Die Kurzgeschichte von Sibylle Berg, erschienen in „ZEIT Punkte 3/2000. Bewegte Welt“ führt den Leser direkt in die Gedankenwelt eines solchen Mannes, der seine Männlichkeit nur noch im Auto wirklich ausleben kann aber sich in der Außenwelt eigentlich schon aufgegeben hat. Diese Diskrepanz zwischen Vorstellung eines guten Lebens und der Realität modelliert Frau Berg geschickt heraus, indem sie das Auto als Katalysator einsetzt, bei der Autofahrt trifft den Protagonisten am stärksten, wie unzufrieden er mit seinem Leben ist. Für den Leser eindrücklich wird dieser innere Konflikt des Protagonisten durch die gewählte Erzählform des Er-Erzählers mit Schwerpunkt auf Innensicht und eine sehr gut durchdachte sprachliche Gestaltung; Metaphern, Klimax und facettenreiche Beispiele verstärken die Emotionalität des Textes.
Der Protagonist der Kurzgeschichte, ein Mann mittleren Alters, ist unzufrieden mit seinem Leben. Erzählt wird, wie er nach dem Frühstück mit Frau und Tochter in sein Auto steigt und losfährt. Da der Tag für ihn schlecht begonnen hat, der Mann hat große, aber von ihm so nicht direkt ausgesprochene Differenzen mit seiner Familie, scheint ihm sein Auto als der letzte Ort, an dem er sich wohlfühlt und sein kann, wie er möchte. Gedanklich zieht er eine Bilanz seines Lebens, kommt zu der Erkenntnis, dass er sich sein Leben so nie vorgestellt hat und ändert zum Schluss seine Fahrtrichtung, was ihn wieder froher macht.
In der realen Welt ist der Protagonist zurückgezogen und lethargisch, er hat es aufgegeben, sich am Familienleben zu beteiligen, versteht seine Familie nicht und fühlt sich von ihnen gleichsam unverstanden. Nur noch in seinem Auto kann er so sein wie er es sich immer vorgestellt hat, durch ein schnelles Auto und eine entsprechende Fahrweise fühlt er sich hier wie ein richtiger Mann.
Zuhause beim Frühstück beginnt der Tag für den Protagonisten schlecht, „die Krawatte würgt ihn“ (Z.6), er will vermeiden, die Aufmerksamkeit seiner Frau und Tochter zu erregen („dass es nicht auffallen möge“, Z.11f), denn offensichtlich gibt es in der Familie viel Misskommunikation: „er kennt diese Personen nicht. Sie sehen ihn nicht.“ (Z15f). So würden sie „ihm das Gefühl [geben], etwas Störendes zu sein“ (Z.18), auch beim Frühstück fühlt er sich nur „geduldet“ (Z.25), seine Frau versteht seine Bedürfnisse nicht, „nie genügt er“ (Z.29). Zu diesem Zeitpunkt eher spontan, hat er den Gedanken „vielleicht nie zurück [zu kommen]“ (Z.35). Sobald er in sein Auto steigt, verändert sich allerdings die Haltung des Protagonisten. War er vorher bemüht um maximale Unscheinbarkeit und Zurückgezogenheit, wird er im Auto dominant, „endlich ist er wer“ (Z.46), „[die Maschine] gehorcht ihm“ (Z.42). Ganz im Gegensatz zu der Situation am Frühstückstisch hat der Protagonist hier das Sagen, für ihn ist im Auto „seine wahre Heimat“ (Z.52), im Auto kann er seine Alltagssorgen vergessen (vgl. Z.52ff). Die Fahrt erscheint ihm als „der letzte Kampf, den einer noch schlagen darf in einer Welt voller Schwuchteln und Frauen“ (Z.58ff), hier wird seine ganze Wut auf die reale Welt deutlich, die doch eigentlich seine Wut auf sich selbst ist, in ihr keinen richtigen Platz für sich zu finden. Das Auto ist von ihm abhängig, fast scheint er eine Beziehung mit seinem Auto zu führen, in der es um „Beherrschung [bettelt]“ (Z.43) und „[dankbar] stöhnt“ (Z.57): Autofahren gibt dem Protagonisten die emotionale Befriedigung, die er zuhause in der Beziehung zu seiner Frau nicht mehr hat, sie wirft ihm vor: „warum bist du so grob, warum fühlst du nichts, denkst du nichts?“ (Z.38f). Das Schlüsselwort ist „Macht“ (Z.75), die er beim Fahren verspürt, im Gegensatz dazu steht seine gefühlte Ohnmacht, das eigene Leben zu lenken, „das Leben, das ihm einer heimlich in die Tasche gesteckt hat und das er verdammt nicht will“ (Z.79f), vor Selbstmitleid wird der Protagonist schwach, möchte bei den Gedanken an im Leben verpasstes „weinen“ (Z.78), und hat „gelbe Haut […] und gelbe Finger vom Rauchen, vom Traurigsein“ (Z.87f), er will „ein anderes Leben haben“ (Z.85). Das ist sein Tiefpunkt, im letzten Abschnitt zieht er eine finale Bilanz über sein Leben, wieder verstärkt und verdeutlicht das Auto, „ein Himmel für ihn allein, gibt ihm Halt“ (Z.90), die Diskrepanz zu seiner Vorstellung von einem guten Leben und der realen, „gottverdammten Welt, die aus den Fugen geraten ist“ (Z.90f). Schließlich zieht er daraus die logische Konsequenz und scheint eine Wende in seinem Leben zu vollziehen, „er dreht ab, […] da steht die Sonne und er lächelt. Zum ersten Mal an diesem Morgen“ (Z.97ff), wendet sich also ab von „einem Leben, das er nicht verdient, [einer] Welt, die nicht mehr gemacht ist für einen wie ihn“ (Z.96f). Wie schon zuvor angedacht wendet sich der Protagonist am Ende des Kurzprosatextes ab von seinem bisherigen Leben und kommt nicht mehr zurück. Das Auto, eine traditionelle Männerdomäne, wirkt hier als Katalysator für seine innerliche Depression und Ausweglosigkeit; beim Fahren wird ihm besonders drastisch der Gegensatz klar zwischen seinem echten Leben und wie er es sich eigentlich vorgestellt hatte. So findet er im Auto, da er sich beim Fahren ohnehin in einer mächtigeren Position sieht, die nötige Kraft, sich von seinem bisherigen Leben zu lösen.
Die von der Autorin gewählte Erzählperspektive, ein Er-Erzähler mit Schwerpunkt auf Innensicht, ist genau zugeschnitten um den Konflikt des Protagonisten zu dem Leser zu transportieren. Jedoch erfährt man ausschließlich über Gedanken und Gefühle des Erzählers, so wird dem Leser die Sicht des Protagonisten schon beinahe aufgezwungen. Auch legt die Tatsache, dass der Text von einer Autorin so verfasst wurde, nahe, dass der Leser hier indirekt etwas über die Sicht der Autorin auf Männer erfährt. Die Gedanken des Er-Erzählers, der gleichzeitig Protagonist der Kurzgeschichte ist, machen den Großteil des Textes aus. Das Geschehen wird ausschließlich aus der Sicht des Protagonisten erzählt, so zum Beispiel die Situation beim Frühstück, man erfährt, der Protagonist fühlt sich in seinem Anzug nicht wohl, „möchte sich kratzen, kratzen, kratzen“ (Z.7), man erfährt, wie der Protagonist denkt, was seine Familie von ihm hält: „sie geben ihm das Gefühl, etwas störendes zu sein, zu laut, zu derb, nicht schön“ (Z.18f). Allerdings wird nirgends gesagt, dass seine Frau und Tochter dies tatsächlich so sehen, transportiert wird nur die subjektive Wahrnehmung des Protagonisten. Frau und Tochter treten nie in den Vordergrund, werden in den Gedanken des Erzählers zu leeren Hüllen, haben kein Profil. Dieser Umstand verstärkt noch die Aussage des Protagonisten, er kenne „diese Personen nicht“ (Z.25), zeigt, dass sein Konflikt auch darum so ausweglos erscheint, weil er Schwierigkeiten hat mit anderen Leuten zu kommunizieren und sich in sie hineinzuversetzen. Der Erzähler ändert seine Haltung im Auto, deutlich ablesbar an seinen Gedanken und Vorstellungen, er sieht sich als „einsame[n] Mann, der mit muskulösen Armen die Zügel hält“ (Z.46f), in seiner Fantasie ist er wieder ein junger, unerschrockener Cowboy. Durch die Erzählperspektive mit Schwerpunkt auf Innensicht erlebt der Leser mit, wie sich der Protagonist beim Fahren wahrnimmt. Ansichten des Protagonisten, vor allem generell seine Weltsicht, werden als Tatsachen dargestellt, „eine Welt voller Schwuchteln und Frauen“ (Z.59), „die Welt [ist] falsch geworden“ (Z.67f), so bleibt dem Leser nichts anderes, als diesen zuzustimmen. Auffällig ist, dass der Protagonist keine gute Meinung von Frauen hat, besonders nicht von gebildeten Frauen, emanzipierten Frauen. Er fühlt sich gedemütigt, weil er sich, im Gegensatz zu seiner Frau, „mit Kunstbüchern nicht auskennt“ (Z.71), fühlt sich verdrängt „in einer Welt voller Schwuchteln und Frauen“ (Z.59f). Der Text wurde verfasst von einer Autorin, man muss beachten, dass hier ihre Ansicht über die Gedanken und Gefühlswelt der Männer abgebildet wird. So stellt sie sicher vieles überspitzt dar, zeichnet das extreme Portrait
eines Mannes, der sich vielleicht in seiner Midlife-Crisis befindet und die Schuld an seiner Unzufriedenheit seiner Umwelt gibt, der sich selbst bemitleidet („möchte er weinen“, Z.78) und sich aus der Verantwortung zieht (Leben wurde ihm „heimlich in die Tasche gesteckt“, Z.79f). Mit einer Portion Ironie ist deshalb auch die Schilderung der Gedanken während Autofahrt zu verstehen, sie spöttelt über die rasante Fahrweise der Männer, sie stellt diese dar als Kompensation für die Männlichkeit, die die Raser allgemein in der realen Welt nicht mehr durchzusetzen wissen. Da aber der Protagonist, wie oben schon analysiert, seinen inneren Konflikt lösen kann, indem er am Ende eine Wende in seinem Leben vollzieht, sieht wahrscheinlich auch die Autorin noch eine Chance für die Männer, ihren Platz in der modernen Welt zu finden.
Durch die Schilderung der Innenwelt des Protagonisten in der Er-Erzählform gelingt der Autorin, ihre eigenen Ansichten über Männer relativ unauffällig zu transportieren. Primär werden ausschließlich Gedanken des Protagonisten geschildert, so werden diese für den Leser zu Tatsachen und automatisch übernimmt er die Ansichten des Protagonisten, da einfach keine anderen verfügbar sind. Zum einen wird so für den Leser dessen innerer Konflikt nachfühlbar, zum anderen nimmt der Leser unterbewusst die überzeichnete, oft ironisch bespöttelte, Version eines Mannes an, so wie ihn die Autorin sieht.
Auch sprachlich ist diese Kurzgeschichte reichhaltig, eine facettenreiche und anschauliche Ausdrucksweise mit Metaphern und unzähligen Klimax verstärkt die Aussagen über Gedanken und Gefühle des Protagonisten und bringt sie so dem Leser noch näher. Eine jugendliche Sprache des Protagonisten in seinem Auto verstärkt den Kontrast zwischen gesetztem Familienleben und seiner Vorstellung von sich beim Fahren, Kraftausdrücke betonen ebenfalls seine Emotionen.
Anders als die meisten gängigen Kurzgeschichten bedient sich Frau Berg einer Sprache sehr reich an Ausführungen, Klimax und Metaphern. Viele Beispiele bestärken Gesagtes und weiten es zum Teil noch aus, zum Beispiel, „dass er glücklich ist, Sport zu schauen, zur Decke zu starren, in einer Kneipe zu hocken und mit anderen Männern zu schweigen“ (Z.31ff), verstärkt wird hier seine Ausweglosigkeit durch eine höhere Quantität genannter Beispiele, diese werden so eindrücklicher. Viele dieser Beispiele sind klimaxartig angeordnet: „alle abhängen, besiegen, zeigen wo der Hammer hängt“ (Z.62f), „größeres Auto, größere Freiheit, größere Geschwindigkeit und Macht“ (Z.73ff), wobei „Macht“ sicherlich am meisten betont wird, da es alleine steht und nicht wie die anderen Substantive durch „größer“ begleitet wird. Ein weiteres Beispiel für eine Klimax ist die Beschreibung seiner Frau, die der Protagonist zuspitzt auf „gefärbt, betrogen, ausgelacht“ (Z.84), in diese drei Wörter scheint er seine gesamte angestaute Wut hineinzulegen. Zusammengefasst kann man sagen, die Klimax verstärken grundsätzlich die Emotionalität des Textes und binden, genauso wie viele ausführende Beispiele, den Leser an den Text. Auch die Metaphern, die die Autorin verwendet, tragen das Ihrige dazu bei, den Leser zu lenken und ihm die Grundintention des Textes näherzubringen. Die Western-Metaphern unterstreichen die Freiheit, die der Protagonist im Auto verspürt, „er rast über die Stadtautobahn […] vor ihm die Sioux, hinter ihm die Apachen“ (Z.72f) und modellieren den Gegensatz heraus zu seinem Familienleben, wo er nicht einmal wagt, sein „Bein am Stuhl [zu schubbern]“ (Z.10f), um nicht aufzufallen, und in der er von seiner Krawatte gewürgt wird (vgl. Z. 6f). Im Auto die maximale Freiheit, wie im wilden Westen, zuhause maximale Unterdrückung seiner Bedürfnisse. Gedanklich kommuniziert der Protagonist mit seinem Auto in einer jugendlicheren, auch derberen Sprache: „das Auto begrüßt ihn: Hey […]“ (Z.37), „Yeah, sagt er leise“ (Z.56). So drückt er für sich aus, dass er innerlich noch immer jung und frei ist, oder es zumindest sein möchte. Diese Sprache verstärkt ebenfalls die Emotionen, der Leser wird es dem Protagonisten völlig glauben, wenn dieser sagt „ [manchmal] möchte er weinen, so kotzt es ihn an“ (Z.77ff), und dass er sein Leben „verdammt nicht will“ (Z.80). Die Ausweglosigkeit seines inneren Konfliktes mit seinem Leben wird durch absolut klingende Formulierungen verstärkt, er sagt, „nie genügt er, nie mag seine Frau ihm glauben“ (Z.29f), ist erleichtert als „endlich“ (Z.33) das Frühstück vorbei ist und sagt sich „vielleicht kommt er nie zurück“ (Z.35). Den Gedanken, nicht mehr zurückzukehren hat er später noch einmal (vgl. Z.75f), er entwickelt ihn also über den Text weiter und wird sich immer sicherer dabei, tatsächlich nicht zurückzukehren.
Die Beschreibung der Innenwelt des Protagonisten wird durch zahlreiche Beispiele, die allein schon durch ihre Quantität eindrücklich wirken, durch rhetorische Figuren wie Klimax und Metaphern und durch eine rebellische, jüngere Sprache sehr stark emotional eingefärbt, die Botschaft des ausweglosen Konflikts prägt sich beim Leser ein. Die sprachliche Gestaltung, die maßgeblich zur innerlichen Zuspitzung des Konflikts beiträgt, unterstützt den Eindruck des Lesers, dass der Protagonist am Ende doch eine Wende in seinem Leben vollzieht, da er nicht mehr zurückkehrt.
Sibylle Berg nutzt das Auto, Lieblingsobjekt vieler Männer, in dieser Kurzgeschichte als Katalysator, der schließlich den inneren Konflikt des Protagonisten voll ausbrechen lässt, zu offensichtlich wird die große Diskrepanz zwischen dem Leben, das sich der Protagonist erträumt und dem, das er tatsächlich lebt. Im Auto hat er Macht, die er dann nutzt, um final eine Wende in seinem Leben zu vollziehen. Auch sprachlich wird der innere Konflikt mit großer Eindrücklichkeit für den Leser herausgearbeitet. Er spitzt sich in der Gedankenwelt des Protagonisten immer weiter zu, gestützt durch Metaphern und Klimax. So spricht alles dafür, dass der Protagonist den über die Geschichte weiterentwickelten Gedanke, nicht wieder zurückzukehren, am Ende tatsächlich wahrmacht. Durch die Form des Er-Erzählers, deren innere Vorgänge aber detailliert porträtiert werden, gelingt der Autorin fast unbemerkt, provokant ihre eigene Sicht der Männer mit in den Text einfließen zu lassen. Nun erlaubt dies verschiedene Auslegungen, spöttelt sie leicht ironisch allgemein über Autobahn-Raser, die ihre Männlichkeit nur noch hier ausleben können? Gibt sie den zu heutigen, emanzipierten Zeiten benachteiligten, letzten „echten“ Männern eine Stimme? Beides eher unwahrscheinlich. Ich denke, sie möchte Männern vorführen, wie das Leben aussehen würde, würden sie an ihren eigenen, veralteten Ansichten über Männlichkeit festhalten; wenig Kommunikation, wenig Gefühl nach außen preisgeben. Die Gesellschaft wandelt sich, es ist nicht mehr so viel Platz für Einzelkämpfer, wie früher in den Weiten der Prärie, schon vieles ist „weiblicher" geworden, offener, toleranter. Hier müssen sich vor allem Männer des alten Schlags anpassen, wollen sie nicht plötzlich am Frühstück sitzen wie der Protagonist zu Beginn des Textes. Doch die Autorin sieht, wie der Ausgang der Geschichte verrät, auch bei diesen Männern das Potential, zu erkennen und schließlich einen Wandel in ihrem Leben zu vollziehen.




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